Im Mai ist Katrin Alberding zum zweiten Mal Mutter geworden. Zum zweiten Mal durch die künstliche Befruchtung einer Samenspende in einer Kinderwunsch-Klinik . Denn: Einen Partner hat die 40-jährige Betriebswirtin, die an den Vorzeige-Unis von Harvard und St. Andrews studierte, nicht. Dafür führt sie seit 2019 ihr eigenes Unternehmen: Kenbi, ein Start-up, das die ambulante Pflege in Deutschland digitalisieren und dadurch verbessern will.
Auf Social Media gewährt Alberding regelmäßig Einblicke in ihr unkonventionelles Leben – und wird dafür teils heftig kritisiert. Im Interview mit FOCUS online erklärt sie, warum sie trotzdem nicht müde wird, sich für mehr Offenheit für diverse Familienmodelle stark zu machen und was ihr als Alleinerziehende und in Vollzeit arbeitende Mutter bei der Vereinbarkeit von kleinen Kindern und Karriere konkret hilft.
FOCUS online: Frau Alberding, wie gut gelingt Vereinbarkeit 2025 in Deutschland?
Katrin Alberding: Nicht gut, deswegen bauen wir uns ja jetzt unser eigenes System (lacht) . Das liegt vor allem an der unzureichenden Kinderbetreuung und dem mangelnden Verständnis beziehungsweise der fehlenden Akzeptanz in vielen Unternehmen, was es bedeutet, Kinder zu haben. Viele sehen weder, was es dafür braucht – in meinen Augen übrigens nicht weniger Arbeitszeit, sondern volle Flexibilität. Noch werden die Vorteile wahrgenommen, die das Einstellen von Müttern mit sich bringt. Das ist ein echter Blind-Spot für sehr leistungsfähige und belastbare Wirtschaftsträgerinnen, die wir nicht ansatzweise nutzen.
Ich sage immer, ich habe mich für die Extremsport-Variante auf beiden Ebenen entschieden. Als Solo-Mutter von zwei Kindern unter drei Jahren auf der einen Seite und als Gründerin eines Start-ups, das natürlich auch erst einmal groß werden muss, auf der anderen. Der Grund, warum Vereinbarkeit bei uns trotzdem klappt, ist, dass ich in meinem Unternehmen viel selbst gestalten kann. Zudem arbeiten wir im Sozialbereich, wo viele ein höheres Verständnis und einen hohen eigenen Bedarf an Vereinbarkeit haben.
Erzählen Sie doch mal von Ihrem Selfmade-System. Wie organisieren Sie Vereinbarkeit ganz praktisch?
Ich nehme meine Kinder zum Beispiel immer mal wieder in Meetings mit – online wie offline – und diskutiere das auch nicht. Neulich ist meine Tochter während eines Vorstandsmeetings auf dem Boden rumgekrabbelt und wir haben parallel die Finanzzahlen besprochen. Wenn ich auf Konferenzen eingeladen bin, ist klar: Ich komme mit meinen Kindern und mit Au-pair, für die wir ein zweites Zimmer brauchen. Was noch hilft, ist, eine gute Arbeitsaufteilung mit meinem Co-Gründer und ein starkes Team. Wenn der eine ausfällt, kann der andere einspringen.
Auf welche Regeln setzen Sie im Büro?
Alle Kollegen dürfen ihre Kinder – und auch ihre büroverträglichen Hunde – mitbringen. Außerdem haben wir Kinderzimmer etabliert, wohin man sich zurückziehen kann, wo die Kinder spielen und schlafen können. Außerdem ist bei uns auch nach Corona weiterhin Homeoffice möglich. Schwangerschaften und Geburten feiern wir gerne und laut. Jede werdende Mutter wird von unserem Gesundheitsteam früh in die Mutterzeit begleitet.
Viele Kolleginnen und Kollegen nehmen Elternzeit und haben Blocker in ihren Kalendern, weil sie ihre Kinder morgens in die Kita bringen oder Mittagessen für sie kochen. Dann weiß jeder: Im Notfall kann ich anrufen. Wenn ein Thema aber nicht dringlich ist, warte ich besser die halbe Stunde.
Haben Sie solche Blocker als Geschäftsführerin auch im Kalender?
Absolut. Bei mir persönlich ist der Zeitraum zwischen 18 und 20 Uhr meine klar kommunizierte und bekannte Kinderzeit. Da essen wir zu Abend, dann bringe ich die Kinder ins Bett. In vielen Calls dürfen meine Kids auch ins Bild reintanzen. Teilweise mache ich auch mal das Bild aus und stille mein Kind zwischendurch, statt auszufallen. In fünf Jahren habe ich noch nie ein Board-Meeting verpasst, auch nicht eine Woche nach Geburt.
Morgens bin ich schon ab 5 oder 6 Uhr erreichbar, beantworte E-Mails mitten in der Nacht, weil ich eh wach bin. In meiner Signatur steht deshalb: Meine Arbeitszeiten müssen nicht deine Arbeitszeiten sein. Das sind Beispiele kleiner, logistischer Dinge, die mir neben dem grundsätzlichen Verständnis meines Umfelds und einer offenen Kommunikation helfen.
Sie bezeichnen das selbst als „Extremsport“. Wie anstrengend ist es, als Solo-Mutter Karriere zu machen?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, Vereinbarkeit wäre leicht. Es zehrt teilweise extrem an den Nerven, ich schlafe im Moment wirklich nicht viel. Außerdem bin ich mit der Geburt meines zweiten Kindes wieder von Berlin in meine alte Heimat gezogen, weil meine Familie hier lebt und ich dadurch mehr Unterstützung habe. Man muss Abstriche machen, um alles unter einen Hut zu bekommen und lernen, Grenzen zu setzen, zu priorisieren. Und ich muss sagen, dass meine Arbeit Teil meines Lebens ist und umgekehrt.
Ich integriere genau so viel, wie ich balanciere, da gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern ganz viel Grau. Flexibilität ist das A und O – im Denken und im Machen. Zudem hilft mir das Bewusstsein: Du kannst alles machen, aber nicht alles zur gleichen Zeit. Das gilt für alles im Leben, nicht nur wenn man Kinder hat.
Gibt es dennoch Momente, in denen Sie mit der Doppelbelastung hadern?
Natürlich gibt es Tage, wo ich am Limit bin. Erst vor kurzem bin ich neunmal in einer Nacht aufgestanden. Erst wollte der Säugling ständig trinken, dann ist die Große wachgeworden und wollte lieber spielen als schlafen, dann musste der Hund mehrmals raus. Da gehe ich am nächsten Morgen auf dem Zahnfleisch und muss mich, wenn es geht, mittags auch mal hinlegen, statt etwas zu essen.
Rückgängig machen wollte ich meine Entscheidungen trotzdem nie. Ich liebe meine Kinder und bin gleichzeitig sehr glücklich, mein Unternehmen zu führen. Daran wächst man ja auch unheimlich. Man wird konsequenter. Und man lernt: Irgendwie geht es immer weiter. Meistens ist das Desaster ja doch nur temporär (schmunzelt) .
In den sozialen Medien werden Sie teils als „egoistisch“ beschimpft. Menschen echauffieren sich, dass Sie als Solo-Mutter kleiner Kinder eine Firma aufbauen. Wie sehr ärgert Sie das?
Am Anfang war ich schon erschrocken und habe mich angegriffen gefühlt. Inzwischen kann ich damit besser umgehen. Einerseits weil die Leute, die diese Dinge kommentieren, weder meine Zielgruppe noch Menschen sind, die ich für ihre sichtbaren Leistungen wahnsinnig respektieren würde.
Andererseits argumentieren sie oft nicht mit Fakten, sondern mit Meinungen und fehlgeleiteten Emotionen. Oder sie projizieren ihre eigenen Kindestraumata auf andere, als seien sie ein Naturgesetz. Gerade in Bezug auf die Solo-Mutterschaft existiert viel Halb- bis kein Wissen. Es ist unsinnig auf dieser Kopf-Kino-Ebene zu diskutieren.
Welcher Vorwurf begegnet Ihnen am häufigsten – und was antworten Sie?
Dass ich meinen Kindern männliche Bezugspersonen vorenthalten würde. Dabei gibt es in meiner Familie ganz viele Männerrollen. Wir gehen sehr offen damit um, dass Familien unterschiedlich aussehen können: Manche Kinder haben einen Bruder, manche drei Schwestern. Andere Familien haben Großeltern, andere nicht, manche haben Hunde, andere Katzen und manche eben Mama und Papa, andere eine Mama, einen Papa oder zwei Papas und zwei Mamas.
Ein anderer oft gehörter Vorwurf ist, dass meine Kinder identitätslos seien und nie ihren leiblichen Vater kennenlernen würden – dabei ist die anonyme Spende in Deutschland gar nicht mehr erlaubt, um genau so ein Szenario zu vermeiden. Dieser Punkt ist mir sehr wichtig: Meine Kinder sollen nicht nach ihrer Identität suchen müssen.
Und dann gibt es natürlich noch den üblichen Rabenmutter-Spruch, den alle arbeitenden Mütter wohl irgendwann mal an den Kopf geworfen bekommen. Ein Wort, das für Männer gar nicht existiert…
Wie gehen Sie mit dieser öffentlichen Kritik um?
Ich habe mittlerweile gelernt, dass ich nicht alles annehmen muss, was mir Menschen an den Kopf werfen. Einen Kinderwunsch halte ich weder für egoistisch noch für Luxusdenken, sondern für ein menschliches Urbedürfnis, für das sich niemand rechtfertigen müssen sollte und den man auch nicht nur hat, wenn man in einer Partnerschaft lebt. Wie man fremde Menschen im Internet dafür derart angreifen kann, ist mir unbegreiflich. Doch ich kann es nicht ändern, das habe ich akzeptiert.
Sie sagen, diese Menschen seien nicht Ihre Zielgruppe. Wer ist das dann? Was motiviert Sie, trotz des Gegenwinds Ihre Geschichte zu erzählen?
Erstens will ich Frauen mit Kinderwunsch zeigen, dass eine Solo-Mutterschaft oder eine Kinderwunsch-Behandlung auch eine Option sein können und es absolut möglich ist, verhältnismäßig spät und mit Karriere Mutter zu sein. Wie wertvoll das sein kann, weiß ich aus eigener Erfahrung: Als ich Ende 30 ohne Partner, aber klarem Kinderwunsch war, hat mir allein die Gewissheit und das Gespräch über die Möglichkeit, total geholfen. Von einigen anderen Frauen weiß ich, dass der Gedanke für sie so befreiend war, dass sie doch noch einen Partner gefunden haben, einfach weil sie freier waren und das Gefühl hatten, am Ende doch selbst noch etwas tun zu können.
Zweitens möchte ich dazu beitragen, verschiedene Lebensmodelle sichtbar zu machen und zu normalisieren. Drittens halte ich es für extrem wichtig, dass Frauen ein aktiver Teil der Wirtschaft sind – was wiederum viel mit Vereinbarkeit zu tun hat.
Deutschland wählt im Februar. Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung, damit Vereinbarkeit besser gelingen kann?
Aus Sicht einer Solo-Mutter ist das nicht zuletzt eine Frage der Rechte, die uns zugesprochen werden. Gleichberechtigung herrscht hier noch lange nicht. So müssen Solo-Mütter ihre Kinderwunsch-Behandlung selbst bezahlen, während dies für Paare die Kasse finanziert. Zudem sind Solo-Mütter die einzige Gruppe von Eltern, denen keine Unterhaltszahlungen zustehen. Wenn man sich nicht an den registrierten Weg hält, sondern der Vater einfach „unbekannt“ ist, hat man das Problem nicht. Das halte ich für eine echt skurrile Incentivierung.
Durch das Ehegatten-Splitting werden Solo-Mütter zusätzlich benachteiligt, da sie keinen Partner haben. Einen Arbeitsausfall kann man sich kaum leisten, als Unternehmerin noch nicht mal im „Mutterschutz“. Was sich daneben dringend verbessern muss, ist die Kinderbetreuung.
Laut Paritätischem Gesamtverband fehlen in jeder Kita im Schnitt mehr als zwei Fachkräfte.
Die städtische Kita meiner Tochter rief deshalb morgens ständig an und sagte die Betreuung ab – bis ich wieder zur Tagesmutter wechselte, die Kinder aber nur bis drei Jahre betreuen darf. Auch bei der Kitaplatz-Vergabe musste ich feststellen, dass ein arbeitendes Paar mit zwei Kindern Vorrang hat vor einem alleinerziehenden Elternteil mit einem Kind, obwohl es natürlich genauso viele Kinder pro Erwachsenen sind und sich der Alleinerziehende keinen Rücktritt leisten kann. Auch macht es Deutschland Menschen aus dem Ausland unnötig schwer, hier zu arbeiten.
Woran machen Sie das fest?
Wir hatten zum Beispiel eine tolle und top-ausgebildete Au-pair, die nach ihrem Job bei uns gerne im Land geblieben wäre und sich in Kitas beworben hat. Doch weil sie trotz schneller Sprachfortschritte noch kein vollständiges B1-Sprachlevel nachweisen konnte, durfte sie nicht bleiben. Das macht doch keinen Sinn, wenn man sich den Fachkräftemangel ansieht!
Gleichzeitig dürfen Au-pairs maximal ein Jahr bei einer Familie arbeiten und das auch nur bis sie 27 Jahre alt sind, sodass wir ständig neu einstellen und rotieren müssen. Das ist weder toll für uns noch für die Au-pair. Auch die steuerliche Absetzbarkeit dieser Hilfen ist extrem eingeschränkt und erschwert – der Teufel steckt im Detail und die Mehrheit kennt diese Details leider nicht. Andere Länder setzen diese Limits nicht und entlasten Familien damit viel mehr. Deutschland hat noch sehr, sehr viel Raum nach oben, um echte Unterstützung von Familien, Alleinerziehenden und arbeitenden Frauen zu realisieren.