Wahlumfragen sollen vor der Bundestagswahl Orientierung bieten, welche Partei wie abschneiden wird. Doch sind diese Umfragen wirklich verlässlich?
Vor der Bundestagswahl am 23. Februar herrscht naturgemäß viel Unsicherheit bei den Fragen: Wer gewinnt die Wahl? Wie schneiden die Parteien ab? Aktuelle Wahlumfragen können Aufschluss geben, sind aber nur Momentaufnahmen – mit vielen Unsicherheiten.
Auf diese Unsicherheiten macht ein Mannheimer Forschungsteam aufmerksam – mit einer eigenen Vorhersage für die Bundestagswahl. Der Politikwissenschafter Thomas Gschwend von der Universität Mannheim über die Intention des Projektes: “Uns geht es eben darum zu transportieren, wie unsicher eigentlich die Information in Umfragen ist. Deswegen weisen wir nicht nur eine bestimmte Zahl, also so eine Punktprognose aus, sondern auch einen Unsicherheitsbereich aus.”
RLP
Nach dem vorzeitigen Aus der Ampel-Koalition wird am 23. Februar 2025 ein neuer Bundestag gewählt. Das müssen Sie in Rheinland-Pfalz zur vorgezogenen Neuwahl wissen:
Sa.11.1.2025
13:00 Uhr
Arbeitsplatz
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Forschungsteam fasst Ergebnisse der Wahlumfragen zur Bundestagswahl zusammen
Der Blick auf die Vorhersagen zeigt, wie offen der tatsächliche Wahlausgang noch ist. Statt genauen Werten gibt das Forschungsteam eher große Schätzbereiche an. Bei der Union ist (Stand 20.2.2025) demnach ein Ergebnis zwischen 24 und 34 Prozent zu erwarten, bei der AfD liegt der Bereich zwischen 16 bis 24 Prozent. Die SPD bewegt sich zwischen 13 und 19 Prozent, die Grünen zwischen 10 und 16 Prozent. Bei kleineren Parteien wie bei der FDP, der Linken und dem BSW sind die Schätzbereiche geringer. Während die Linke bei etwa 5 bis 9 Prozent steht, können FDP und BSW noch wahrscheinlicher an der 5-Prozent-Hürde scheitern.
Für die Vorhersagen verwendet das Forschungsteam vor allem die Umfragen der einzelnen Meinungsforschungsinstitute, fasst sie zusammen und berücksichtigt weitere Daten zu Parteibindungen und zur Zufriedenheit mit der Bundesregierung. Bei der Vorhersage werden bewusst keine Veränderungen bei den Parteien angeben – anders als bei den normalen Umfragen, sagt Thomas Gschwend: “Wenn eine Partei ein, zwei Prozentpunkte hoch oder runter geht, das kann schlicht Zufall sein und meistens ist es einfach Zufall.”
Das Forschungsteam hat statt konkreten Zahlen, Schätzbereiche aufgestellt um sämtliche Wahlumfragen zur Bundestagswahl 2025 darzustellen. Quelle: zweitstimmte.org zweitstimme.org
Unentschlossene Befragte führen zu Unsicherheiten von Wahlumfragen
Für die einzelnen klassischen Umfragen befragt ein Meinungsforschungsinstitut in der Regel 1.000 bis 1.500 Wahlberechtigte, um möglichst repräsentativ zu sein. Doch wie sicher diese Umfrage ist, hängt von mehr Faktoren ab.
Eine große Herausforderung sind die Unentschlossenen: Manche geben bei den Umfragen auf die Schnelle eine Partei an, die sie dann aber gar nicht wählen. Andere Wählende sagen nicht die Wahrheit oder bestimmte Wählergruppen machen seltener bei Umfragen mit. Gerade im aktuellen gesellschaftlichen Klima scheint dieser Faktor sich zwischen den Wählenden unterschiedlicher Parteien stärker zu unterscheiden als zuvor.
Die Forschungsgruppe Wahlen zeigt, wie stark die Institute die Ergebnisse noch korrigieren. Bei den noch nicht korrigierten Daten kommt die AfD zum Beispiel Mitte Februar auf 14 Prozent, wird aber gleichzeitig in der Sonntagsfrage dann mit 20 Prozent angeben – also plus 6 Prozent.
Im Verlauf des Wahlkampfs ändern sich ständig die Zustimmungswerte der Parteien. Wahlumfragen versuchen diese Entwicklung so gut wie möglich abzubilden. Doch wie verlässlich sind die Umfragen vor der Bundestagswahl? IMAGO IMAGO / Hanno Bode
Weitere Faktoren der großen Unsicherheit
In den letzten Jahren hat aber ebenso die Parteibindung unter Wählenden immer mehr abgenommen – auch das ist für die Meinungsforschungsinstitute eine große Herausforderung. Auch sogenanntes taktisches Wählen, also eine strategische Wahlentscheidung um ein bestimmtes Ergebnis zu begünstigen, ist für Forschende schwer abzuschätzen.
Besonders, weil sich momentan auch noch gleich drei Parteien an der 5-Prozent-Hürde bewegen, scheinen sich manche Wählende darüber hinaus vermehrt zu fragen: Lohnt es sich, die kleine Partei wirklich zu wählen?
Basierend auf ihren Modellen für die Erst- und Zweitstimmen, berechnen die Mannheimer Forscher zusätzlich die Wahrscheinlichkeiten für die Eintritt ins Parlament und die Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Koalitionsoptionen. zweitstimme.org
Mögliche Koalitionen laut dem Mannheimer Forschungsteam
Demnach wichtig: Umfragen sind Umfragen und keine Prognosen. Das gilt auch in Sachen möglicher Koalitionen. Auch damit hat sich das Mannheimer Forschungsteam beschäftigt.
Man kann hierbei zwar nur von einer Tendenz sprechen, aber ganz sicher wird laut dem Mannheimer Vorhersagemodell (Stand 20.2.2025) nur eine Dreier-Koalition mit Union, SPD und Grüne möglich sein. Rein rechnerisch hätte auch eine Koalition von Union und AfD so gut wie sicher eine Mehrheit.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Koalition von Union und SPD möglich ist, wird dagegen mit nur 56 Prozent angegeben. Und ein Bündnis der Union mit den Grünen wird nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 29 Prozent angegeben.
Die Corona-Pandemie hat zu einem regelrechten Briefwahl-Boom bei der Bundestagswahl 2021 geführt: Mit 47,3 % gab fast die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler ihre Stimme per Brief ab. Es bleibt abzuwarten, ob es auch bei der Bundestagswahl 2025 wieder ein so starkes Interesse an der Briefwahl gegeben hat. IMAGO Fotostand
Nachwahlumfragen helfen, Unterschiede einzuordnen
Doch auch nach der Wahl werden weiterhin Umfragen durchgeführt. Dadurch kann festgestellt werden, welche Wählenden vielleicht nicht die Wahrheit gesagt haben oder sich kurzfristig umentschieden haben. Anhand solcher Nachwahlumfragen der vergangenen Jahre lassen sich so Erfahrungswerte bestimmen, in welchem Umfang sich die Ergebnisse zur tatsächlichen Wahl noch korrigieren.
Abschließend sagt Gschwend, “da sind viele Erfahrungswerte dabei, aber die etablierten Institute, die machen das schon sehr, sehr gut. Aber wir wissen letztendlich nicht, sind es immer die gleichen Leute, die man nicht erreicht hat, die vielleicht auch ihre Meinung geändert haben. Wenn das dann passiert, dann funktionieren diese alten Erfahrungswerte nicht mehr. Dann kommt man trotzdem dazu, dass man bestimmte Parteien einfach systematisch unterschätzt.”