Haben Sie schon einmal „Schmetterlinge im Bauch“ gespürt oder vor Aufregung „ein flaues Gefühl im Magen“ gehabt? Dann haben Sie die Darm-Hirn-Achse bereits erlebt. Sie ist die direkte Verbindung zwischen unserem Verdauungstrakt und dem Gehirn – und sie beeinflusst weit mehr als nur die Verdauung.
Der Darm ist mit rund 100 Millionen Nervenzellen ausgestattet und interagiert ununterbrochen mit dem zentralen Nervensystem. Nicht ohne Grund wird der Darm daher auch oft das zweite Gehirn genannt. Ein gestörter Darm kann sich direkt auf Ihre Stimmung, Ihr Denkvermögen und sogar Ihr Stressempfinden auswirken.
Dr. Gerd Wirtz ist Neurophysiologe und seit vielen Jahren als Medizinmoderator, Bestsellerautor, Podcaster und Keynote Speaker auf internationalen Bühnen unterwegs. Seine Spezialgebiete sind Digital Health und Longevity. Seine Überzeugung, dass Digitale Medizin der entscheidende Schlüssel ist, um länger und gesünder zu leben, vermittelt er in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen, kompetent und unterhaltsam. In seinen Podcasts „gesund&gesund“ und „beyond lifespan“ gibt er gemeinsam mit seinen Kollegen regelmäßig wertvolle Tipps zum gesunden Leben.
Wie kommuniziert der Darm mit dem Gehirn?
Die Darm-Hirn-Achse ist ein komplexes Kommunikationsnetzwerk aus verschiedensten Prozessen.
80 Prozent der Signale zwischen Darm und Gehirn laufen über den Vagusnerv – der Schnellstraße zwischen Bauch und Kopf. Er überträgt Signale in beide Richtungen, doch rund 80 Prozent der Informationen fließen vom Darm zum Gehirn – nicht umgekehrt. Das zeigt, wie stark unser Verdauungssystem unser Denken, unsere Emotionen und unser Stressempfinden beeinflusst.
Der Darm beherbergt dazu noch Billionen Mikroorganismen, die Neurotransmitter wie Serotonin (Glückshormon), Dopamin (Motivation) und GABA (Entspannung) produzieren. Zudem entstehen hier kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat, die Entzündungen hemmen und die Gehirnfunktion unterstützen.
Auch Hormone spielen eine Rolle in der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn. Der Darm produziert Hormone, die unser Hungergefühl steuern und die Nahrungsaufnahme regulieren.
Rund 70 Prozent des Immunsystems sitzt im Darm. Gerät die Darmflora aus dem Gleichgewicht, kann das zu stillen Entzündungen führen – mit Folgen für die geistige Leistungsfähigkeit und langfristig sogar zu einem erhöhten Risiko von Alzheimer oder Depressionen führen.
Wie kann ich die Kommunikation verbessern?
Ein gut funktionierender Vagusnerv unterstützt die Verdauung, reguliert das Immunsystem und kann Stressreaktionen dämpfen. Doch wie kann man ihn aktivieren?
In der Medizin wird der Vagusnerv bereits gezielt durch elektrische Impulse stimuliert – entweder über implantierte Geräte oder nicht-invasive Methoden, etwa über Elektroden am Ohr. Diese Technik wird zur Behandlung von Epilepsie, Depressionen und Migräne eingesetzt und wird auch bei chronischen Entzündungen erforscht.
Aber auch ohne Hightech lässt sich der Vagusnerv aktivieren:
- Tiefes Atmen: Vor allem langsames Ausatmen beruhigt das Nervensystem.
- Kälteexposition: Kalte Duschen oder Eiswasserbäder steigern die Vagusaktivität.
- Singen, Summen, Gurgeln: Aktiviert den Vagusnerv über den Kehlkopf.
Kein Wunder, dass der Vagusnerv gerade viel Aufmerksamkeit bekommt: Stressbedingte Erkrankungen nehmen zu, und neue Studien zeigen, dass eine geringe Vagusaktivität mit Entzündungen und chronischen Erkrankungen verknüpft ist.
Was passiert, wenn der Darm aus dem Gleichgewicht gerät?
Ein gesunder Darm beherbergt Billionen von Mikroorganismen, die Neurotransmitter, Hormone und Stoffwechselprodukte produzieren. Sie unterstützen die Verdauung, regulieren das Immunsystem und fördern die geistige Leistungsfähigkeit. Doch eine Dysbiose – also eine Verschiebung des bakteriellen Gleichgewichts – kann genau das Gegenteil bewirken. Ist das Mikrobiom gestört, wird dies mit psychischen und neurologischen Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Menschen mit einer Dysbiose leiden häufiger unter Stimmungsschwankungen, Konzentrationsproblemen und erhöhter Stressanfälligkeit. Zudem können Überwucherungen pathogener Keime, etwa durch Candida oder SIBO (Small Intestinal Bacterial Overgrowth), Blähungen, Durchfall und Nährstoffmängel verursachen.
Normalerweise schützt die Blut-Hirn-Schranke (BHS) das Gehirn vor Schadstoffen. Doch eine gestörte Darmflora kann Entzündungsprozesse auslösen, die diese Barriere durchlässiger machen. Immunzellen und entzündungsfördernde Stoffe können so ins Gehirn gelangen und dort Nervenzellen schädigen. Wissenschaftler vermuten, dass dieser Mechanismus an der Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Multiple Sklerose (MS) beteiligt sein könnte.
Ein gesunder Darm ist also weit mehr als eine Frage der Verdauung – er schützt auch das Gehirn. Wer ihn vernachlässigt, riskiert nicht nur körperliche Beschwerden, sondern auch langfristige Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit und das Nervensystem.
Wie können Sie Ihre Darm-Hirn-Achse stärken?
Ein gesunder Darm schützt nicht nur die Verdauung, sondern auch das Gehirn. Wer seine Darmflora gezielt unterstützt, kann Entzündungen reduzieren, die Stressresistenz verbessern und die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn optimieren. Neben der Vagusnerv-Stimulation können Sie sich und Ihren Darm noch durch folgende Maßnahmen glücklich machen:
1. Füttern Sie Ihre guten Bakterien
Die richtigen Nährstoffe fördern das Wachstum nützlicher Darmbakterien und stärken die Darmbarriere. Ballaststoffe aus Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen dienen als Präbiotika, während fermentierte Lebensmittel wie Joghurt, Sauerkraut und Kimchi wertvolle Probiotika liefern.
Vermeiden Sie hingegen Zucker, künstliche Süßstoffe, ultra-verarbeitete Lebensmittel und übermäßigen Alkohol- oder Koffeinkonsum, da sie die Darmflora aus dem Gleichgewicht bringen können.
2. Bewegen Sie sich für einen gesunden Darm
Regelmäßige Bewegung fördert die Vielfalt der Darmbakterien und verbessert die Darmmotilität. Schon tägliche Spaziergänge oder 20 Minuten moderate Bewegung haben nachweislich positive Effekte auf das Mikrobiom.
3. Reduzieren Sie Stress – Ihr Darm wird es Ihnen danken
Chronischer Stress wirkt sich negativ auf die Darmflora aus. Achtsamkeitsübungen, Spaziergänge in der Natur und soziale Interaktionen tragen dazu bei, das Nervensystem zu beruhigen und die Darmgesundheit langfristig zu erhalten.
Die geistige Fitness beginnt nicht im Gehirn – sondern im Bauch. Wenn Sie oft müde, gereizt oder unkonzentriert sind, sollten Sie nicht nur auf Ihr Stresslevel oder Ihren Schlaf achten – sondern auch auf Ihre Darmgesundheit.
Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl!