Immer wieder kommt es auch auf Autobahnen in RLP zu schweren Auffahrunfällen mit Lkw. Ließen sich diese vermeiden oder abmildern, wenn noch mehr Notfbremsassistenten installiert wären?
Ein Sattelzug auf der A61 bei Bingen ist in ein Polizeifahrzeug gerast, das einen Lkw abgesichert hat, der eine Reifenpanne hatte. Dabei kam ein Lkw-Fahrer ums Leben. Immer häufiger kommt es zu schweren Auffahrunfällen mit Lkw.
Wie funktionieren die Notbremsassistenten in Lkw, seit wann müssen sie verbaut werden? Gibt es auch Nachteile?
Der Notbremsassistent vollzieht nicht gleich bei jedem kleinen Hindernis eine Notbremsung. Das System berechnet über mehrere Sensorern während der Fahrt dauernd die Geschwindigkeit und die Abstände zu anderen Fahrzeugen. Unterschreitet der Fahrer den notwendigen Sicherheitsabstand so weit, dass eine Bremsung einen Auffahrunfall nicht mehr verhindern würde, registriert das System dies und errechnet den entscheidenden Zeitpunkt, an dem eine unfallfreie Bremsung noch möglich wäre.
Viele Systeme warnen den Fahrer über den Bordcomputer akustisch oder optisch vor der kritischen Situation. Nimmt der Fahrer dann nicht den Fuß vom Gas oder tritt nicht selbst auf die Bremse, wird der Notbremsassistent aktiv. Der technische Helfer drosselt dann entweder das Tempo, indem er die Zufuhr an Kraftstoff reduziert oder er leitet direkt eine Vollbremsung ein, wenn dies erforderlich ist. Er kann den Fahrer auch nur beim Bremsen unterstützen. Dazu misst der Notbremsassistent durchgehend die Beschleunigung des Wagens sowie die Pedalstellungen und die Lenkwinkel des Wagens.
Kombination mit weiteren Assistenz-Systemen
Oftmals kommt der Notbremsassistent nicht allein, sondern in Kombination mit einem Bremskraftverstärker (BAS) zum Einsatz. Dieser ermöglicht eine stärkere Bremsung bei gleicher Kraft. So kann ein Auto mit Notbremsassistent einen Fußgänger als Hindernis erkennen und das Tempo rechtzeitig vor einem Zusammenstoß reduzieren.
Sollte ein Unfall einmal nicht mehr vermeidbar sein, weil der Fahrer beispielsweise nicht auf die akustischen oder optischen Signale seines Helfers reagiert, kann der Notbremsassistent in modernen Autos die Sicherheit trotz Auffahrunfall weiter erhöhen, indem er die Kopfstützen und Rückenlehnen optimal ausrichtet und die Sicherheitsgurte anspannt. Die körperlichen Unfallschäden sollen damit so gering wie möglich gehalten werden. Viele neue Fahrzeuge sind daneben in der Lage, einen eCall, also einen automatischen Notruf abzusetzen, damit schnell ärztliche Hilfe erscheint.
Allerdings kann der Notbremsassistent auch durch bestimmte Umstände beeinträchtigt werden. Dazu gehören Nebel, Regen, Schnee und Vereisungen am Auto. Auch die Reifen sollten den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Experten empfehlen eine Mindestprofiltiefe von 3 bis 4 mm. Nur dann gebe es eine ausreichende Bodenhaftung auch bei Regen und Schnee.
Ist der Notbremsassistent Pflicht bei Lkw?
Ja. Für alle Lkw, die ab 2015 zugelassen wurden und mehr als acht Tonnen wiegen, besteht eine Einbaupflicht. Allerdings gibt es hier Unterschiede. Bis Ende Oktober 2018 musste der Assistent die Geschwindigkerit lediglich um 10 Kilometer pro Stunde reduzieren, seit November 2018 dann um 20 km/h.
Künftig soll es eine weitere Verschärfung geben. Die Notbremssysteme müssen bis zu einer Geschwindigkeit von 90 km/h funktionieren. Die maximale Aufprallgeschwindigkeit darf nicht mehr als 42 km/h betragen – und zwar ohne, dass der Fahrer eingreift.
Darüber hinaus schränkt die neue Regelung auch die Abschaltbarkeit deutlich ein. So kann der Fahrer das System zwar nach wie vor abschalten, es aktiviert sich jedoch automatisch nach 15 Minuten erneut. Als weitere Vorgabe müssen die Assistenzsysteme erstmals auch auf Fußgänger reagieren und Unfälle bis zu einem Tempo von 20 km/h vermeiden können. Dies ist vor allem in Städten wichtig.
Wie die Zeitschrift “Auto, Motor und Sport” berichtet, müssen die Vorhaben aber noch in EU-Recht umgesetzt werden. Alle Änderungen sollen für neu entwickelte Fahrzeuge ab September 2025 gelten, ab September 2028 dürfen demnach keine Fahrzeuge mehr neu zugelassen werden, die diesen Bestimmungen nicht entsprechen.
Darum schalten einige Fahrer das System ab
Zahlreiche Berufskraftfahrer empfinden das System als lästig und wollen dieses abschalten. Das Problem ist zumeist, dass sich nicht immer alle Straßenverkehrsteilnehmer an den erforderlichen Mindestabstand halten. Scheren diese beispielsweise nach einem Überholvorgang zu dicht vor einem Lkw ein, könnte sich der Notbremsassistent aktivieren und das Fahrzeug abbremsen. Das überrascht viele Fahrer, die in diesem Moment nicht mit der Bremsung rechnen. Das abrupte Abbremsen kann außerdem eine Gefahr für einen eventuell unaufmerksamen Hintermann sein, der vielleicht keinen Notbremsassistenten in seinem Fahrzeug verbaut hat.
Das Bundesverkehrsministerium arbeitet trotzdem an neuen Sanktionen für Fahrer, die den Notbremsassistenten ausschalten. Künftig soll dies in den Bußgeldkatalog mit aufgenommen und mit einem Bußgeld entsprechend sanktioniert werden. Einige fordern, dass der Notbremsassistent gar nicht mehr abgeschaltet werden kann.
Kann man Notbremsassistenten in Lkw nachrüsten?
Ein Notbremsassistent lässt sich in Lastkraftwagen nicht so einfach nachrüsten. Dazu müssten die nötigen Sensoren und Kameras so mit dem Bremssystem verbunden werden, dass dazu ein aufwendiger Eingriff nötig wäre, der unverhältnismäßige Kosten auslösen würde und zum Teil technisch unmöglich ist.
Maßnahmen gegen Missbrauch des Notbremsassistenten
Einige Notbremsassistenten haben ein beschränktes Kontingent an Bremsungen. Sind diese verbraucht, muss das System in einer Kfz-Werkstatt erneut konfiguriert werden. Die Hersteller wollen damit verhindern, dass der Notbremsassistent als Ersatz für die normale Bremsung missbraucht wird. Es handelt sich um ein Notfallsystem, das nur für brenzlige Situationen und nicht für jede Bremsung im Alltag verwendet werden sollte.
Sind Notbremsassistenten auch für Pkw geplant?
Eine Pflicht für den Verbau in Pkw besteht bislang nicht. Es gibt aber Bestrebungen in Japan und in der EU, einen Notbremsassistenten einzuführen, der speziell im Stadtverkehr Fußgänger und Radfahrer erkennen kann. Auch dieser soll den Plänen zufolge nur in neuen Fahrzeugen verbaut werden. Er soll nicht in älteren Fahrzeugen nachgerüstet werden. Weitere Informationen zum Thema gibt es auch beim Online-Portal “Bussgeldkatalog.org”.
ADAC-Test stellt Notbremssystemen gutes Zeugnis aus
2021 hat der ADAC die Notbremssysteme für Lkw getestet. Er kam zu dem Schluss, dass alle getesteten Fahrzeuge mehr leisten als vom Gesetzgeber gefordert.
Die Lastzüge kamen bei einer Geschwinidigkeit von 80 km/h hinter einem stehenden Hindernis automatisch und vollständig zum Stehen. Teilweise verfügten die getesteten Fahrzeuge noch über weitere AssistenzsystemeAnwesend die ebenfalls typische Lkw-Unfälle vermeiden können, wie etwa Abbiegeassistenten, die Fußgänger und Radfahrer beim Rechtsabbiegen erkennen.
Des Weiteren zeigte sich, dass sich der automatische Notbremsassistent (AEB) bei normalen Fahrten nicht bemerkbar macht – lediglich der Abstandsregeltempomat (ACC). Ein Abschalten des Notbremssystems AEB sei aus diesem Grund unwahrscheinlich und absolut unnötig. Der ADAC kritisierte allerdings, dass die gesetzlichen Anforderungen immer noch deutlich unter den technischen Möglichkeiten liegen.