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Angeklagter Polizist kann sich Schussabgabe nicht erklären

Vor dem Augsburger Landgericht muss sich ein Polizist wegen eines Schusses aus seiner Dienstwaffe verantworten. Der Angeklagte hatte beim Bundesligaspiel des FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach am 19. August 2023 einen Schuss auf vier seiner Kollegen in einem Polizeifahrzeug abgegeben.

Schuss nach Wasserschlacht

Vor Gericht schilderte der Beamte am Dienstag den Verlauf des Nachmittags, an dem eine “Wasserschlacht” mit mehreren seiner Kollegen schließlich in dem Schuss aus seiner Dienstwaffe gipfelte. Kurz zuvor habe der heute 28-Jährige einen mit Wasser gefüllten Einmalhandschuh in das Polizeifahrzeug geworfen. An die Sekunden danach könne er sich nur in Teilen erinnern.

Er habe in seinem Kopf den Begriff “Beschuss” wahrgenommen, reflexhaft reagiert, einen Knall gehört und schließlich seine Polizeiwaffe in seiner Hand registriert. “Erst da wusste ich, dass der Schuss aus meiner Waffe gekommen ist und habe furchtbare Angst und auch Scham bekommen”, so der Polizist bei seiner Vernehmung vor Gericht.

Angeklagter kann sich Schuss nicht erklären – Richter äußert Zweifel

Er habe sich direkt im Anschluss nach dem Befinden seiner Kollegen erkundigt und sich seitdem mehrfach entschuldigt. Warum er in der Situation geschossen habe, könne er sich auch nach mehreren Therapie-Sitzungen bis heute nicht erklären. “Das war unprofessionell, ein derartiges Wasserspiel im Einsatz und mit voller Montur durchzuführen”, zeigte sich der Angeklagte zerknirscht.

Der Vorsitzende Richter Christoph Kern äußerte Zweifel an der Geschichte des 28-Jährigen: “Auf einmal sollen zweieinhalb Sekunden aussetzen – warum?”

Das abgefeuerte Projektil hat laut Anklage den Kopf eines Polizisten nur um wenige Zentimeter verfehlt. Der Beamte habe ein Schusstrauma und einen Schock erlitten. Weitere Beamte hätten ein Knalltrauma davongetragen. Ein Beamter sei zudem durch Splitter der geborstenen Scheibe im Gesicht verletzt worden. Die Kugel war schließlich in einem Fanbus von Borussia Mönchengladbach steckengeblieben.

Auch Zeuge kann Schuss nicht erklären

Auch ein als Zeuge geladener Ausbilder des Polizei-Unterstützungskommandos USK in Dachau kann die Schussabgabe nicht erklären. Er gab Einblicke in das Schießtraining bei der Ausbildung, bei der es darum gehe, “das Muskelgedächtnis von der Moderations- bis hin zur Schusshaltung” zu trainieren. Eine weiße Wasserpistole, die als solche auch erkennbar gewesen sei, reiche seiner Ansicht nach aber nicht aus um den vom Angeklagten ausgeführten Schieß-Mechanismus auszulösen. Das habe er “in 20 Jahren Ausbildung nicht erlebt”.

Polizisten im Zeugenstand bringen Staatsanwalt auf die Palme

Die Vernehmung mehrerer Polizisten, die die “Wasserschlacht” und auch die Schussabgabe beobachtet haben, warf zusätzliche Fragen auf und brachte schließlich den Oberstaatsanwalt regelrecht auf die Palme. So hatte ein Polizist in seiner Vernehmung im vergangenen Oktober erklärt, dass einer seiner Kollegen unmittelbar vor der Schussabgabe gesagt habe: “Jetzt passiert gleich was!” Vor Gericht wollte der Beamte allerdings nichts mehr von dieser Aussage wissen, worauf der Staatsanwalt mit der Hand auf den Tisch schlug und den Zeugen anblaffte: “Ich lasse mich nicht von Ihnen verseppeln.”

Wenig später reklamierte dann auch ein anderer Polizist im Zeugenstand Erinnerungslücken für sich und brachte damit den Oberstaatsanwalt vollends aus der Fassung. “Bullshit! Ich kann Ihnen aktuell nichts nachweisen und Sie nicht packen, aber es ist beschämend”, ließ er den Polizisten im Zeugenstand wissen.

Experte: “Nicht verwunderlich, dass Wahrheit erst stückchenweise herauskommt”

Nach dem Schuss sprach die Polizei “ersten Erkenntnissen zufolge” von einem Versehen. Das wundert den Kriminologen und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes nicht. Es sei in solchen Fällen von polizeilichem Fehlverhalten ganz oft so, dass erstmal versucht werde, das Ereignis kleinzuhalten, es teilweise auch zu vertuschen und möglichst wenig Informationen an die Öffentlichkeit zu geben, sagt Feltes. In den allermeisten Fällen werden diese Verfahren von der Staatsanwaltschaft dann eingestellt, sagt der Kriminologe weiter. “Von daher ist es einerseits eine Ausnahme, dass wir hier tatsächlich ein Verfahren vor einem Gericht haben. Andererseits ist es für mich auch nicht verwunderlich, dass im Grunde genommen erst ganz zum Schluss die Wahrheit stückchenweise herauskommt”, so Feltes.

Zudem glaubt der Kriminologe nicht, dass sich aus einer Dienstwaffe aus Versehen ein Schuss löst. Ihm zufolge müssen verschiedene Sicherheitsmechanismen vorher gelöst werden, und auch eine gewisse Abzugskraft vorhanden sein. “Aber es kann aus der Dynamik heraus erfolgen”, sagt Feltes. Es sei möglich, dass der Angeklagte versucht habe, eine drohende Haltung einzunehmen und “dass er dann einen Blackout gehabt hat und die Waffe zu weit durchgezogen hat und dass es dann zu einer Schussabgabe gekommen ist”.

Grundsätzlich findet er, dass die Polizisten durch die Spielereien mit den Wasserpistolen in der Öffentlichkeit kein “übermäßig gutes Bild” abgegeben haben.

Haftstrafe möglich

Wie es in dem Fall weitergeht, werden die nächsten Verhandlungstage am Mittwoch und am Donnerstag zeigen. Insgesamt werden sieben Zeugen und zwei Sachverständige vernommen. Für den Tatbestand einer “gefährlichen Körperverletzung im Amt” in fünf Fällen und “Sachbeschädigungen” droht dem Polizisten eine Haftstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Über seine Zukunft als Polizist wird wohl erst im Anschluss, in einem gesonderten Verfahren entschieden.

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