HomeNachrichtAngst ist kein Zeichen von Schwäche - sondern bietet Ihnen versteckte Vorteile

Angst ist kein Zeichen von Schwäche – sondern bietet Ihnen versteckte Vorteile

Angst wird von den meisten Menschen als etwas Bedrohliches empfunden, als etwas Unangenehmes, auch Peinliches, das man möglichst vermeiden oder wenigstens verheimlichen möchte. Aber schon in dem Phänomen der „Angstlust“, die fast jedes Kind in irgendeiner Form freiwillig auskostet, wird das Zwiespältige, auch Verlockende, dieser Gefühlswahrnehmung erkennbar.

Wie Angst missverstanden werden kann

Angst als Schwäche: Wer Angst grundsätzlich als Schwäche ansieht, verkennt ihre naturgewollte Funktion: Jeder Mensch braucht zu seinem Schutz eine innere Stimme, die ihn vor Gefahren, Überforderungen, Selbstüberschätzung warnt. Diese Aufgabe erfüllt die Angst. Sie ist ein nützlicher Teil des Selbsterhaltungstriebs, auch bei Tieren.

Prof. Dr. phil. Siegbert A. Warwitz ist Germanist, Sportwissenschaftler, Experimentalpsychologe und Pädagoge. Im Rahmen seiner langjährigen Forschungs- und Lehrtätigkeit an einer wissenschaftlichen Hochschule beschäftigten ihn vor allem Phänomene der menschlichen Entwicklung und die Frage, welcher Einfluss dabei Faktoren wie Spiel, Abenteuer, Risiko und Wagnis zukommt. Dazu entwickelte er didaktische Modelle, wie man deren Impulse am besten in Bildungsprozessen einsetzt.

Angst als Gegensatz zu Mut: Angst ist nicht mit Feigheit gleichzusetzen. Sie dient als unverzichtbarer Regulator des Mutes. Wer Risiken ohne die zur Bedachtsamkeit und Vorsicht mahnende Angst eingeht, ist ein Hasardeur. Während der Mut dazu antreibt, ein lohnendes Wagnis einzugehen, übernimmt die Angst das Bremsen.

Sie rät zum sorgsamen Abwägen des Gefahrenpotenzials. Mut und Angst funktionieren wie Gashebel und Bremse eines Fahrzeugs nur optimal in einem abgestimmten Zusammenspiel.

Angst als Charakterzug: Die Angstpsychologie unterscheidet zwischen einer sogenannten „Trait-Angst“ und einer „State-Angst“. Während die Trait-Angst sich als eine dauerhafte, anlasslose, verfestigte Eigenschaft der Person und damit als eine krankhafte Störung darstellt, tritt die State-Angst nur dann auf, wenn eine Situation bedrohlich wird.

Ihr kommt die erwünschte Wirkung zu, einen Alarm auszulösen, der Organismus, Psyche und mentale Verfassung in eine optimale Leistungsbereitschaft versetzt.

Angst als Allerweltswort: Hinter der häufig zitierten „Angst vor dem Arzt“ und der Verweigerung von Vorsorgemaßnahmen verbergen sich meist ganz andere Empfindungen, die mit „Angst“ wenig bis nichts zu tun haben, etwa Scham, Sinnzweifel oder Misstrauen.

Bei Wagnissportlern wird das Abwägen von Risiken bisweilen als Angst fehlgedeutet. Bei Schauspielern und Rednern wird die Anspannung vor dem Auftritt als „Podiumsangst“, bei Sportlern das Sammlungsritual vor dem Wettkampf als „Vorstartangst“ missverstanden. Zutreffender ist hier der Begriff „Lampenfieber“, eine Art spannungsgeladener Erwartungshaltung.

Das Spektrum der Ängste

Was man gemeinhin als „Ängste“ bezeichnet, bildet ein sehr komplexes und kompliziertes Problemfeld ab. Es handelt sich um intensive Gefühlsregungen, mit denen sich Disziplinen wie die Psychologie, die Neurophysiologie, die Sportwissenschaft oder die Wagnisforschung befassen. Eine präzise Wortwahl ist dabei von entscheidender Bedeutung für die richtige Diagnose, die Kommunikation und den angemessenen Umgang mit der jeweiligen Befindlichkeit. Fehleinschätzungen führen zu falschen Schlüssen und Maßnahmen.

Daher unterscheiden die Experten, Forscher und Therapeuten, sehr differenziert zwischen den verschiedenen Formen des Angstkomplexes.

Der Begriff „Angst“ oder „Ängste“ wird über die unterschiedlichen Fachdisziplinen hinweg meist als Oberbegriff verwendet. In der Pluralbildung verdeutlicht er am besten die Vielfalt der Empfindungen, die das komplexe Erscheinungsbild ausmachen.

Diese reichen von bloßen Unsicherheiten wie Scheu, Schüchternheit oder Zaghaftigkeit über die Zwänge wie Esszwang oder Kontrollzwang, die Furchtformen wie Versagensfurcht oder Verletzungsfurcht, die Phobien wie Klaustrophobie oder Agoraphobie, die Paniken wie Schockstarre oder hysterische Anfälle bis zu den Psychosen wie Verfolgungswahn oder Lebensangst. Sie haben zunächst eine sinnvolle lebenssichernde Funktion, neigen außer Kontrolle aber zu bedrückenden und beeinträchtigenden Zuständen, die therapiebedürftig sind.

Die Wirkung von Angst

„Angst“ (von indogermanisch „anghu“) kennzeichnet ein Gefühl quälender Enge, das sich, – je nach Person und Situation,- in unterschiedlicher Stärke bemerkbar macht. Die Skala reicht von leichten Unsicherheiten, die nur beunruhigen bis zu extremen Formen, die lähmen und betäuben. Das nach den Psychologen Yerkes und Dodson benannte „Gesetz der Angst“ besagt, dass eine zu geringe Angst bei einer gefährlichen Unternehmung die notwendige Warnfunktion nicht erfüllt und die Leistungspotenziale zu wenig stimuliert.

Auf der anderen Seite blockieren zu starke Ängste eben diese Leistungspotenziale. Nur ein beherrschter mittlerer Angstlevel ist geeignet, optimale Erregungszustände für das anspruchsvolle Vorhaben zu schaffen.

Der von seinem Anlagetypus her Ängstliche, Verzagte wird von dieser seiner Befindlichkeit ausgebremst, und der Hasardeur wird auf der anderen Seite durch sein ungestümes Draufgängertum gefährdet. Der wagnisbereite Sportler, Solotänzer, Abenteurer mit einem beherrschten Angstniveau aber vermag die Angst als Hilfe zu nutzen. Wie das?

Angst löst Stress aus und mit ihm das Ausschütten von wirkstarken Hormonen wie Adrenalin und Noradrenalin. Diese versetzen den Organismus in die Lage, sich anspruchsvollen Anforderungen zu stellen. Psyche und Organsysteme geraten in einen Zustand höchster Konzentration und Aktionsbereitschaft. Das ist ein von der Natur eingerichteter, in bedeutenden Situationen vorteilhafter Vorgang. Ob dieser sich als Eustress in positiver Form leistungssteigernd oder aber als Disstress leistungsmindernd auswirkt, hängt von der mentalen Verfassung und Angstsouveränität des Einzelnen ab.

Wann ist Angst therapiebedürftig?

Die eigentlich positive Einrichtung, Angst empfinden zu können, kehrt sich zum Negativen, wenn sie habituell geworden ist und nicht mehr bedrohungsangemessen warnt, wenn sie übertriebene, nicht mehr sachdienliche Erregungszustände verursacht, wenn sie von attraktiven Erlebnissen ausschließt, wenn sie einen Leidensdruck erzeugt, der das Lebensgefühl beeinträchtigt.

Wir sprechen in solchen Fällen von „Angststörungen“, die einer Behandlung bedürfen. Ziel ist es, den Angstpegel auf ein sinnvolles Erregungsniveau zu bringen.

Wie lässt sich Angst in den Griff kriegen?

Die Methoden der Angsttherapie sind vielfältig. Sie hängen stark von der jeweiligen Angstform ab. Grundsätzlich gilt:

  1. Frei flottierende, neurotische, gegenstandslose Ängste und Zwänge sind auf die rationale Ebene zu überführen. Sie müssen als unbegründet realisiert werden.
  2. Unbestimmte Ängste (z.B. allgemeine Prüfungsängste) sind in gerichtete Fürchte (z.B. vor einem bestimmten Prüfer oder Fachgebiet) zu verwandeln und werden so leichter abbaubar und beherrschbar.
  3. Angstempfindungen einer „Trait-Angst“, also einer Angst im Dauerzustand, müssen zu einer „State-Angst“ reduziert werden, einer Angst, die nur auf tatsächliche Bedrohungen anspricht.
  4. Phobien wie die Sozialangst oder die Höhenangst werden auf dem Wege einer „graduellen Annäherung“ angegangen. Es gilt, aus der Sicherheitszone heraus den angstauslösenden kritischen Punkt in kleinen Schritten zu erreichen und immer weiter hinauszuschieben.
  5. Paniktendenzen oder Tierphobien bedürfen einer Behandlung in Form von Desensibilisierungsmaßnahmen.

In jedem Fall von Angst will das Erreichen eines individuell zuträglichen, beherrschten, optimalen Angstniveaus erarbeitet sein, um die Vorteile einer funktionierenden Angst nutzen zu können. Dies geschieht bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten durch Mutproben.

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