Es steckt in Eiern, Butter oder Leberwurst: Cholesterin. Da denken viele gleich an das „schlechte“ Cholesterin, das LDL-Cholesterin – und im nächsten Schritt an Statine. Diese Medikamente senken das Cholesterin im Blut. Die verschreibungspflichtigen Tabletten hemmen ein Enzym, das Cholesterin produziert. Weltweit nehmen etwa 200 Millionen Menschen Statine ein, in Deutschland sind es etwa fünf Millionen.
Doch noch einmal einen Schritt zurück. Warum empfehlen Mediziner die Cholesterinwerte zu senken?
„Wir haben mit dem LDL-Cholesterin einen veränderbaren Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen , der sehr stark ist“, erläutert Peter Radke, Chefarzt Innere Medizin und Kardiologie der Schön Klinik Neustadt und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung, im Gespräch mit FOCUS online. Zudem akkumuliert er im Laufe des Lebens. Sprich, je älter wir werden, umso mehr kann sich Cholesterin in unserem Körper ablagern. Das wiederum erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Vermehrt ins Gespräch gekommen sind Statine auch über das Deutsche-Herz-Gesetz, das Karl Lauterbach auf den Weg gebracht hat . Gerade bestimmten Jugendlichen könnten künftig häufiger Statine verordnet werden – wozu wir später bei der Hypercholesterinämie kommen.
Was alle über ihren Cholesterinwert wissen sollten
„Patienten sagen oft, ich habe einen guten LDL-Cholesterinwert. Den einen Zielwert gibt es aber gar nicht“, sagt Radke. „Denn es gibt in Abhängigkeit des gesamten kardiovaskulären Risikos unterschiedliche.“
Um das kardiovaskuläre Risiko einzuschätzen, bedienen sich Mediziner einer Matrix. „Hier stehen Faktoren wie LDL-Cholesterin, Diabetes, Rauchen, Alter, Geschlecht auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Blutdruckwerte“, erläutert der Kardiologe. Es brauche immer den umfassenden Blick auf einen Menschen, um den LDL-Cholesterinwert zu bewerten und zu entscheiden, ob eine Behandlung mit Statinen notwendig sei.
Ab welchen Werten heißt es genauer hinzusehen?
Idealwerte LDL-Cholesterin:
- Für herzgesunde Menschen: unter 116 mg/dl (Milligramm pro Deziliter Blut)
- Für Diabetiker: unter 70 mg/dl
- Bei bereits vorliegender Erkrankung der Herzkranzgefäße: unter 55 mg/dl
- Nach Schlaganfall: unter 55 mg/dl
Liegen die Werte oberhalb dieser Idealwerte, heißt es genauer hinzusehen.
Wann braucht es Medikamente, um den Cholesterinwert zu senken?
Der LDL-Cholesterinwert lässt sich mit gesundem Lebensstil – je nachdem, wie hoch der Wert ist – nur um etwa fünf bis zehn Prozent senken, wie die Deutsche Herzstiftung schreibt . Die Aufnahme von LDL-Cholesterin werde zudem im Wesentlichen durch die Leber (nicht den Magen oder den Darm) reguliert. Wer hohe LDL-Werte hat, bei dem liegt es meist an genetischen Veränderungen.
Dennoch braucht es nicht direkt Statine, um zu hohe Cholesterinwerte zu senken. Zwischen 100 und 190 versuchen Mediziner zunächst, den Wert über Ernährung, Bewegung und einen gesunden Alltag zu verbessern.
Kardiologe Radke sieht das ganz pragmatisch: „Sinnvoll ist es, man geht erstmal 50 Prozent runter, weil man weiß, dass dann der größte Teil des Nutzens schon entsteht.“
Kann der Cholesterinwert zu niedrig sein?
Nein, lautet die klare Antwort der Deutschen Herzstiftung. Das liegt daran, dass jede Körperzelle ihr Cholesterin selbst bildet. Das Gehirn habe sogar einen komplett eigenständigen Cholesterinstoffwechsel, erläutern die Experten.
Statine senken das LDL-Cholesterin im Blut an den kritischen Stellen, nämlich dort wo Atherosklerose entstehen könnte . Ist die Konzentration dort sehr niedrig, wirkt sich das nicht auf die anderen Körperregionen aus. Selbst LDL-Cholesterin-Blutwerte von nur um 25 mg/dl seien sicher.
Spezialfall familiäre Hypercholesterinämie
Wer unter Hypercholesterinämie leidet, wird üblicherweise mit Statinen behandelt. Hier ist häufig ein Defekt des LDL-Rezeptors die Ursache. Die Maßnahmen aus Lauterbachs Deutsche-Herz-Gesetz sollen die erbliche Erkrankung schon so früh wie möglich bei noch mehr betroffenen Kindern und Jugendlichen diagnostizieren.
„Wenn jetzt junge Menschen diese vererbbare Form der Hypercholesterinämie haben, akkumulieren sie schon in frühen Jahren sehr viel LDL in den Gefäßen und das steigert die Wahrscheinlichkeit für koronare Herzerkrankung beziehungsweise einen Herzinfarkt“, erläutert der Kardiologe. Vor dem wissenschaftlichen Hintergrund sei es absolut sinnvoll, hier über Prävention die Herzgesundheit zu stärken.
Allerdings: Junge Leute, die ein LDL-Cholesterin von 130 oder 150 Milligramm pro Deziliter haben, therapieren Kinderärzte schon jetzt. „Natürlich hilft es diesen Spezialfällen viel“, sagt Radke. „Ob das Gesetz also insgesamt einen großen Impact auf die Herzgesundheit in Deutschland hat, ist fraglich.“
Wem aktuell Statine empfohlen werden
Üblicherweise berücksichtigen Ärzte, so wie Professor Radke erläuterte, bestimmte Risikofaktoren ihrer Patienten – wie den Cholesterinspiegel, den Body Mass Index und den Nikotin-Konsum. Daraus berechnen sie die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden wird.
Liegt das Risiko bei zehn Prozent oder höher, empfehlen die meisten Richtlinien die Einnahme von Statinen.
Streit um Cholesterinsenker
Zu oft oder zu selten verschrieben? Könnten mehr Menschen von Statinen profitieren und sich vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen? Oder sollten vielmehr weniger Menschen Statine einnehmen, um den Schaden von Nebenwirkungen abzuwenden? Darüber diskutieren Fachleute seit Jahren.
Es sollten mehr Menschen Statine nehmen
Das spricht laut Kardiologe Radke dafür, dass Statine noch mehr Menschen nutzen könnten:
- Großer Nutzen für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Diabetes mellitus oder Schlaganfall
- Ebenfalls großer Nutzen für jüngere Menschen (unter 45 Jahren) mit hohem Risiko
Gerade älteren Menschen könnten Medikamente nutzen
Douglas S. Paauw ist Professor für Medizin in der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin an der University of Washington, Seattle. Auf der Medizinplattform „ MDedge.com “ setzte er sich umfassend mit der aktuellen Studienlage zu Statinen auseinander.
Paauw erläutert, dass Statine viele Jahre lang für hochbetagte Menschen nicht als hilfreich galten. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Wo Studien bisher fehlten (80-Jährige und älter waren oft nicht Teil klinischer Studien), lieferten Wanchun Xu und Kollegen kürzlich eine Antwort :
Unter den 75- bis 84-jährigen Patienten, die Statine bekamen, sank das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse um 1,2 Prozent über einen Zeitraum von fünf Jahren, unter den Behandelten ab 85 Jahren um 4,4 Prozent. Wichtig sei, schrieb der Mediziner, dass in beiden Altersgruppen kein signifikant erhöhtes Risiko für Muskelerkrankungen (Myopathien) und Leberfunktionsstörungen festgestellt wurde.
Es sollten weniger Menschen Statine nehmen
Das spricht Radke zufolge gegen Statine:
- Geringer Nutzen bei gesunden Menschen ohne Herz-Kreislauf- Erkrankungen
- Zunächst sollte eine Änderung des Lebensstils (körperliche Aktivität, Gewichtskontrolle, Ernährung) versucht werden.
Milo Puhan, Professor für Epidemiologie an der Universität Zürich, zeigte sich kritisch hinsichtlich Statinen. Seine Einschätzung: Nach einer Studie würden die Nebenwirkungen der Mittel gelegentlich einen möglichen Nutzen überwiegen. Es drohten Leberschäden und Diabetes, Muskelschmerzen, Grauer Star. Zudem könnten sich unerwünschte Begleiterscheinungen über die Jahre verschlimmern.
Paauw verweist in seinen Ausführungen darauf, dass die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die Empfehlung zur routinemäßigen regelmäßigen Überwachung der Leberfunktion bei Patienten, die Statine einnehmen, 2012 gestrichen habe . Auch die meisten Muskelschmerzen ließen sich nicht auf die Cholesterinsenker zurückführen.
Wem Statine schaden, wem sie nutzen
Wie mit jedem Medikament gilt es auch bei Statinen Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Das können diejenigen, die zu hohe Cholesterinwerte auf ihrem Laborbefund haben, am besten gemeinsam mit ihrem Hausarzt oder Kardiologen einschätzen.