HomeNachrichtDeutsche Traditionsfirma wendet sich von Autoindustrie ab - seitdem geht es bergauf

Deutsche Traditionsfirma wendet sich von Autoindustrie ab – seitdem geht es bergauf

EBM-Papst ist aus der 1963 gegründeten Elektrobau Mulfingen (EBM) und dem später übernommenen Lüfterhersteller Papst im Schwarzwald hervorgegangen.

Mitgründer und jahrzehntelanger geschäftsführender Gesellschafter war der heute 90jährige Gerhard Sturm, in dessen Ära ein beispielloser Aufstieg des einstmals kleinen Mittelständlers fiel. EBM-Papst stellt heute Lüfter für praktisch alle denkbaren Anwendungsbereiche her – von der Medizintechnik bis hin zur Gebäudekühlung. Und natürlich für den Einsatz in Datenzentren. Autohersteller, einstmals Stammkunden, sind nicht mehr dabei.

Von der Gründung bis zum globalen Technologieführer: Die Erfolgsgeschichte von EBM-Papst

Die Revolution brach im November 2022 aus. Da verkündete das Unternehmen, keine neuen Aufträge aus der Automobilindustrie mehr anzunehmen. Audi war der letzte Partner. Das Raunen in der Branche war gewaltig, der Optimismus, dass es gut geht, verhalten. Doch Papst schaffte den Ausstieg. Ende 2023 war es soweit – die laufende Versorgung bereits eingegangener Verträge wurde natürlich sichergestellt, aber der Abschied war so endgültig, wie er in der Industrie sein kann. Es war der Bruch mit der Tradition: Immerhin hatten die Franken seit den sechziger Jahren Autos, Lastwagen und Busse mit Kühlung versorgt.

Die Hoffnung allerdings, dass es rundherum wirtschaftlich wieder bergauf gehen würde, erwies sich als trügerisch: „EBM-Papst spürt seit Anfang letzten Jahres die konjunkturelle Schwäche der deutschen und europäischen Wirtschaft. Die Aufträge aus dieser Region lagen hinter unseren Erwartungen und führten zu einer geringeren Auslastung der europäischen Werke, so auch in Mulfingen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig”, sagt EBM-Papst-Sprecher Hauke Hannig. Die Folgen allerdings eindeutig: Seit Anfang des vorigen Jahres herrscht bei EBM-Papst in Bereichen Kurzarbeit, um flexibel auf die unsicheren Zeiten reagieren zu können.

Welchen Schaden verwirrende Politik anrichten kann, davon kann EBM-Papst ein Lied singen. Im Geschäftsjahr 2023/24 litt das Unternehmen vor allem unter den „Nachwehen des umstrittenen Gebäudeenergiegesetzes und der damit einhergehenden Verunsicherung der Märkte. Das Heiztechniksegment verlor 18,7 Prozent seines Umsatzes gegenüber Vorjahr“, heißt es nüchtern in einer Mitteilung.

Ein radikaler Schnitt: Der Abschied von der Automobilindustrie

Also konzentrieren sie sich in Franken auf die Zukunft. Für sein innovatives Engagement erhielt EBM-Papst den Mittelstandspreis der Medien 2023 der Weimer Media Gruppe. Anlässlich der Verleihung skizzierte Personalchefin Sylvia Fleischer die neue Richtung: „Wir konzentrieren uns in unserer Transformation mit nachhaltigen und digitalen Lösungen für ein besseres Klima auf unsere strategischen Zukunftsfelder. Sei es im Bereich der Klimatisierung von Datenzentren oder Reinräumen, im Bereich der erneuerbaren Energien oder innerhalb der Heiztechnik bei Wärmepumpen“. Das klingt nach einfachen Lösungen und klaren Aufgaben. Tatsächlich ist EBM-Papst ein Unternehmen, in dem es um Hochtechnologie geht.

Zur Produktpalette gehören Komplettlösungen im Bereich der Kühlung; das erfordert mitunter individuelle Konfigurationen, die mit digitaler Steuerung exakt auf Anforderungen in den unterschiedlichsten Gebäuden und Anlagen abgestimmt werden müssen.

Dass man in hochsensiblen Bereichen, seien es OP-Säle in Krankenhäusern oder bei empfindlichen Elektronik-Installationen, nicht mit Produkten von der Stange arbeiten kann, liegt auf der Hand. Dennoch gehört es zur Strategie, komplexe Geräte möglichst in handhabbare Pakete zu packen, Elektronik eingeschlossen.

Dazu dann automatisierte Anpassungen wie etwa das selbsttätige Auswuchten von Ventilatoren, und natürlich die Wartung von der Ferne. Mit den – allerdings damals schon als fortschrittlich gelobten – Lüftern im Kässbohrer-Bus der sechziger und siebziger Jahre hat das nicht mehr viel zu tun.

Retrofit und grüne Technologien: Trends für eine umweltbewusste Zukunft

Die herrschende Philosophie der grünen Energie kommt dem Konzern natürlich entgegen. Was immer Luft bewegt, will man so geräuschlos wie möglich und dabei energiesparend anbieten. Mit Wärmepumpen und Wasserstoffnutzung, Windrädern und und vor allem der stetigen Erneuerung von Produkten ist das Unternehmen auf Linie des Zeitgeistes. Retrofitist zum wichtigen Geschäftsfeld geworden: Gemeint ist damit, durch Anpassung auch ältere Anlagen weiter nutzen zu können und ihnen soweit möglich die aktuelle Technologie zu implantieren – was Kosten beim Kunden spart. Parallel wird Neues entwickelt.

Ganz allein in Deutschland zu arbeiten, das ist für ein Unternehmen dieser Größe mit rund zweieinhalb Milliarden Euro Umsatz wohl weder sinnvoll noch überhaupt mehr denkbar. Mit zahlreichen sehr selbständigen Produktionsstandorten in Europa, den USA und Asien gibt es die nötige Flexibilität, den kaum zu leugnenden Nachteilen des heimischen Standortes fallweise zu entgehen. In knapp 50 Ländern ist EBM-Papst vertreten, was sich Gründer Gerhard Sturm vor sechs Jahrzehnten nicht vorstellen konnte. Aber: Mit der Internationalisierung gehen auch Nachteile einher.

Internationalisierung und ihre Herausforderungen: Flexibilität und Markenrechte

So wurde, nicht zum ersten Mal, Ende vergangenen Jahres eine Fälscherwerkstatt in China ausgehoben. Kunden war eine ungewohnt schwache Qualität bei Lüftern aufgefallen. Die Detektivarbeit der Papst-Leute ermittelte einen bereits zuvor aufgefallenen, aber damals geflüchteten Fälscher, der eine angebliche EBM-Papst-Niederlassung im chinesischen Fushan betrieb. Mit gebraucht gekauften Originalventilatoren betrieb er nach Neuetikettierung einen schwunghaften Handel – bis er nun aufflog.

„Gefälschte Produkte können minderwertige Materialien enthalten und nicht den strengen Qualitäts- und Sicherheitsstandards entsprechen, die wir für unsere Originalprodukte gewährleisten” sagt Ralf Duckeck, verantwortlich für Markenrechte und geistiges Eigentum bei EBM-Papst, in einem Hörfunk-Interview. Er setzt auf neuartige Methoden, um Fälschern das Handwerk immer mehr zu erschweren. Immerhin einige hunderttausend Euro kosten solche Produktverfälschungen das Unternehmen jährlich. Aber auch in China sei man inzwischen problembewusster geworden und verfolge die Täter entschlossener als früher.

Rückgrat der deutschen Wirtschaft: Familienunternehmen in einer globalen Welt

Derweil scheint es wie ein trotziges Signal, dass EBM-Papst vor wenig mehr als einer Woche am Stammsitz in Mulfingen sein neues „Technikum” in Betrieb genommen hat. Konzernchef Klaus Geißdörfer wertet das Forschungszentrum für Highspeed-Kompressoren und deren Weiterentwicklung als „wichtigen Baustein der Kernsegmente Luft- und Heiztechnik, Digitalisierung und Nachhaltigkeit”.

Das Forschungs- und Anwendungsgebiet war dem Unternehmen seit 2015 rund 60 Millionen Euro an Investitionen wert, ein Viertel davon ist in das Gebäude und seine Ausstattung geflossen, 60 neue Arbeitsplätze brachte es mit sich. Als alleinstehende Zahl mag dies verblassen gegenüber dem Fluss von Schreckensnachrichten aus der Großindustrie, was den Arbeitsplatzabbau angeht. Es bestätigt sich allerdings, was oft nur in Sonntagsreden über die Bedeutung und Beschäftigungssicherung von Familienunternehmen zu hören ist. Immerhin sind diese auch in Wirklichkeit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

Dass EBM-Papst sowohl mit Startups als auch Weltfirmen zu beiderseitigem Nutzen zusammenarbeitet, bestätigt sich gerade in diesen Tagen. Da wäre zum einen Hyting, ein junges Unternehmen, das ein patentreifes Verfahren entwickelt hat, mit Sauerstoff und Wasserstoff aus der Luft ein Heizsystem zu speisen – die Zusammenarbeit soll wassertoffbetriebene Wärmegeneratoren entwickeln. Und dann ist da Siemens. Mit dem Weltkonzern will EBM-Papst die Digitalisierung der internationalen Standorte vorantreiben und deren Vernetzung fördern. Spätestens hier wird die Künstliche Intelligenz eine Schlüsselrolle einnehmen. Der Abschied von der Autoindustrie ist damit fast schon Geschichte, und bei EBM-Papst sieht man es, firmentypisch, ganz cool.

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