Kinder mit Fiebersaft intus, Eltern, die ausflippen, wenn das Kind abgeholt werden soll – der Spagat zwischen Beruf und Familie heizt in der Erkältungssaison auch die Situation in den Kitas auf. Ein Erzieher und Kitaverantwortliche erzählen, wie sie damit umgehen.
- Im Video: Pädagogin sagt, was in Kitas schiefläuft und wie Sie gute Einrichtungen erkennen
Einmal brachte eine Mutter ihr Kind morgens in die Kita und erzählte freimütig: „Nachdem ich ihm Medikamente gegeben habe, geht es ihm jetzt wieder gut.“ Ein anderes Mal war es ein Kind, dass unbedacht drauflos plapperte: „Ich hatte Fieber, aber Mama hat mir einen Saft dagegen gegeben.“
Es sind Szenen wie diese, die zwar nicht täglich, aber doch immer wieder passieren und die einen Erzieher, der anonym bleiben möchte, auf die Palme bringen. Im Herbst und Winter, wenn besonders viele Infekte grassieren, haben er und seine Kollegen fast jeden Tag Kinder in der Einrichtung, die nach Hause gehören und andere Kinder und Fachkräfte anstecken. „Während der Coronazeit und kurz danach war es besser. Aber mittlerweile ist es wieder wie zuvor“, sagt der junge Mann, der in einer Stuttgarter Einrichtung arbeitet. Was er außerdem erlebt: „Dass Eltern ausflippen, wenn man anruft und sie bittet, das Kind abzuholen.“
Fast täglich würden Kinder nach Hause geschickt
Beobachtungen, die teils auch Anja Braekow vom Verband Kitafachkräfte in Baden-Württemberg teilt. „Für die meisten Einrichtungen ist es tatsächlich so, dass die Eltern Kinder wieder genauso krank abgeben wie vor Corona“, sagt Braekow, die eine private Kindertagesstätte im badischen Rheinfelden leitet. Fast täglich würden Kinder aus Kitas nach Hause geschickt. Fälle, in denen die Kleinen „nicht verraten dürfen, dass sie gebrochen oder ‚Zaubersaft‘ bekommen haben“, kennt Braekow auch. Dabei regele das Infektionsschutzgesetz klar, dass kranke Kinder Kitas nicht besuchen dürften. Anja Braekow hat allerdings Verständnis für die Familien: „Der Druck ist enorm“, sagt sie und meint den Spagat der Eltern, sich in der Erkältungssaison gut um ihre Kinder zu kümmern und trotzdem noch arbeiten zu können.
Auch Florian Lehr, Leiter der katholischen Kita Kiehmling-Winkel in Stuttgart, kennt die Nöte von Vätern und Müttern. Am Arbeitsplatz würde Eltern mit kranken Kindern wieder weniger Verständnis entgegengebracht als in der Coronazeit. So bekämen er und seine Kolleginnen und Kollegen es mit. Firmen würden außerdem Homeoffice-Zeiten reduzieren oder ganz abschaffen. „Das macht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wieder schwieriger“, sagt Florian Lehr. Die Not der Eltern wahrzunehmen, ist für ihn deshalb ein wichtiger Schritt, um gemeinsam mit den Familien zu guten Lösungen zu kommen.
Außerdem spricht er das Thema jedes Jahr beim Elternabend an. Dabei macht er den Müttern und Vätern klar, dass es nicht nur für ihre Kinder besser ist, sich daheim auszukurieren, sondern für alle. „Schlimmstenfalls müssen wir ja einzelne Gruppen oder die ganze Kita schließen, wenn sich die Fachkräfte bei den Kindern anstecken.“
Wann ist es nur ein „Schnüpfle“?
Es helfe, dass die katholische Kirche in Stuttgart – ähnlich wie andere Träger – für ihre 60 Kitas nach Corona einheitliche Regelungen für den Krankheitsfall beschlossen hat, die die Eltern auch unterschreiben. Darin ist zum Beispiel festgeschrieben, wie lang ein Kind – je nach Krankheitsart – symptomfrei sein muss, bevor es wieder in die Kita kann.
Schwieriger ist es laut Florian Lehr beim kleinen „Schnüpfle“ und leichten Husten. Wann ist ein Kind in solchen Fällen kitatauglich? „Für uns ist der Gradmesser, ob das Kind anders ist als sonst, schlapp und abgeschlagen oder normal fit“, sagt Lehr. Am besten bespreche man das mit den Eltern.
Fiebersaft ist ein Kündigungsgrund
Elterndialog – das empfiehlt auch Anja Braekow. Ihr Team habe sich mit den Familien zusammengesetzt und Regeln erarbeitet, wann die Kinder kommen und wann nicht. „Das war ein langer Prozess und endete darin, dass wir gemeinsam Gesundheitsregeln erstellt haben.“ Darin steht nun zum Beispiel, dass Kinder nach Infekten 48 Stunden symptomfrei sein müssen und auch dann daheimbleiben, wenn Geschwister oder Eltern schwer erkrankt sind. Entdecken die Fachkräfte, dass Fiebersaft oder Ähnliches gegeben wurde, „behalten wir uns vor, den Betreuungsvertrag mit sofortiger Wirkung zu kündigen“. Anja Braekow macht klar, dass hinter dieser Strenge auch ihre „Fürsorgepflicht gegenüber allen Menschen in und um die Kita“ steht.
Oder wie es der genervte Stuttgarter Erzieher formuliert: „Eltern, lasst einfach eure kranken Kinder zu Hause!“
Von Lisa Welzhofer