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    Fahrräder für alle: Grenoble schafft, wogegen sich Deutschland immer sträubte

    Gelbe Fahrräder, wohin man schaut. Im französischen Grenoble flitzen Studenten zu Hunderten auf ihren postgelben Velos zur Uni. Ein Restaurantbesitzer jongliert Bierkästen zu seinem Lokal – auf einem Lastenrad, natürlich gelb. Und ein Mann hat ein Paar Skier an seinen Rucksack geklemmt, während er vom Skiverleih nach Hause radelt. Seine Fahrradfarbe? Nicht schwer zu erraten.

    Beeindruckende Quote

    All diese gelben Fahrräder gehören der Stadt Grenoble, genauer: dem kommunalen Verleihbetrieb Mvélo+. Ob klassisches Rad, E-Bike, Lastenrad oder Mountainbike, ob Tagesmiete oder Jahresmiete: Mvelo+ hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst allen Menschen in Grenoble und Umland ein individuell passendes Angebot zu machen.

    Die schon vor 20 Jahren eingeführte Offerte hat Erfolg: Schon mehr als 10.000 der gelben Fahrräder sind im Umlauf – und das bei nur 160.000 Einwohnern. Laut Zensus fuhren 2020 schon 18,7 Prozent der Arbeitnehmer in Grenoble mit dem Fahrrad zur Arbeit. Zum Vergleich: Im als sehr fahrradfreundlich geltenden Straßburg waren es 17,8 Prozent, in ganz Frankreich nur 2,6 Prozent. Die Grenobler Quote beeindruckt. Doch wie hat es die Alpenstadt geschafft, eine solche Fahrradbegeisterung zu wecken?

    Das Stuttgart-Problem

    Zunächst ist da das ausgeprägte Bewusstsein für den Klimawandel. Grenoble hat mit seiner Kessellage und dichten Besiedlung ein ähnliches Problem wie Stuttgart: Eingezwängt zwischen den drei Alpenmassiven Vercors, Chartreuse und Belledonne, kämpft Grenoble mit hoher Feinstaubbelastung. Hinzu kommt: Die durchschnittliche Temperatur in den Alpen stieg seit Beginn des 20. Jahrhunderts um ganze zwei Grad – also deutlich mehr als in ganz Frankreich, wo die Erwärmung im Schnitt 1,4 Grad betrug.

    Die Konfrontation mit den bedrohlichen Wetterphänomenen hat Grenoble zu einem Vorreiter gegen den Klimawandel werden lassen: Im Jahr 2005 verabschiedete die Stadt den ersten lokalen Klimaplan in ganz Frankreich. Zu der Zeit hatte bereits ein Verein im Auftrag der Stadt ein Fahrradparkhaus am Bahnhof von Grenoble betrieben – mit 50 Rädern ging es damals los. 2004 startete Mvélo+ offiziell, damals noch unter dem Namen Métrovélo. Heute ist es einer der größten Fahrradverleihe in ganz Frankreich, gemessen an der Zahl der Räder. Die Millionenstadt Paris betreibt einen Fahrradverleih namens Vélib‘ mit 19.000 Fahrrädern, der als einer der größten der Welt gilt.

    Fünfzehn Euro Monatsmiete

    Dass der Plan so gut aufgeht, liegt auch an den rund 57.000 Studenten der Stadt, die oft zugezogen seien, sagt Sylvain Laval. Er ist im öffentlichen Nahverkehr der Kommune der oberste Entscheider – als Präsident des Syndicat Mixte des Mobilites de l’Aire Grenobloise (SMMAG). Dieser Verkehrsbetrieb betreibt und finanziert Mvélo+ und alle anderen Nahverkehrsangebote. „Viele Studenten, die nach Grenoble kommen, haben nicht unbedingt viel Geld und kein eigenes Fahrrad“, sagt Laval. „Mvélo+ ist für sie ein interessantes Angebot.“

    Für Studenten und Auszubildende kostet die Monatsmiete nur 15 Euro, für ein ganzes Jahr zahlen sie 72 Euro. Wer zu Beginn des Wintersemesters schnell ist, kann außerdem ein „Bike to Campus“-Abo ergattern, das für zwei Semester, also zehn Monate, gilt und nur 49 Euro kostet. So kostet das „Bike to Campus“-Abo für die ersten zwei Semester, also für zehn Monate, nur 49 Euro. Dies ist als Schnupperpreis zu verstehen. Regulär kostet ein klassisches Fahrrad 27 Euro Monatsmiete, junge Leute unter 25 Jahren zahlen nur 15 Euro.

    Erschwinglich für alle

    Doch längst nicht nur Studenten greifen zu: „Mvélo+ funktioniert in allen sozialen Schichten der Bevölkerung, weil der Service so erschwinglich und praktisch ist“, sagt Laval. Auch die französische Gesetzgebung für Pendler verleiht Schub. Denn alle Arbeitnehmer bekommen von ihrem Arbeitgeber die Hälfte ihrer Fahrtkosten zur Arbeit erstattet, sofern sie umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen oder Fahrrad fahren.

    Dagegen werden Sprit- und Autokosten nur übernommen, wenn es keine anderen Transportmöglichkeiten gibt. Freilich gelten die Zuschüsse auch für einen Vertrag bei Mvélo+, der auch Instandhaltung und Reparatur des Rades automatisch umfasst. Nur bei Diebstahl müssen die Mieter selbst zahlen, ihre Kaution wird dann einbehalten. Dabei gilt laut Laval: Die mit zwei Schlössern gesicherten gelben Räder werden seltener gestohlen als normale Fahrräder.

    Lektionen für Deutschland

    Auch Deutschland könnte von der Grenobler Politik lernen, denn klar ist auch: Ohne gute Fahrradinfrastruktur gäbe es den gelben Boom nicht. Seit 2014 hat Bürgermeister Éric Piolle von der Partei Les Écologistes kontinuierlich Radwege geschaffen, verbessert und umgewidmet. So gibt es vier Hochgeschwindigkeitsradwege. Das sind breite, gut beleuchtete Wege, auf denen nur Fahrräder fahren dürfen. Sie verbinden auf 34 Kilometern Länge die umliegenden Kommunen mit der Stadt.

    In Grenoble selbst wurden zahlreiche bestehende Straßen als Fahrradstraßen ausgewiesen. Neben Fahrrädern sind hier nur noch Busse, Taxis und Rettungsfahrzeuge zugelassen. Für Anwohner gelten allerdings Ausnahmen. „Das Ausweisen von Fahrradstraßen senkt die Unfallzahlen“, sagt Maud Tavel, Direktorin im Bürgermeisteramt der Stadt Grenoble. „So fühlen sich auch Kinder und Senioren wohler, die beim Radfahren normalerweise unsicherer sind.“

    „Radwege neu bauen, ist zu teuer“

    Bestehende Straßen in Fahrradstraßen umwandeln – das ist auch in den Augen der Verkehrswissenschaftlerinnen Victoria Dahmen und Lisa Kessler von der TU München eine der effektivsten Maßnahmen. Sie leiten das Projekt „Radeln“, bei dem sie am Beispiel Münchens erforschen, wie Städte Verkehrsinfrastrukturen so gestalten können, dass Menschen auf das Fahrrad umsteigen. Dafür tracken sie auch die Bewegungsmuster der Bevölkerung. „Radwege neu zu bauen, dauert lange und ist teuer“, sagt Kessler. Leichter ließen sich Tempo-30-Schilder aufstellen, Fahrverbotszonen einrichten oder Ampeln so schalten, dass Fahrradfahrer möglichst selten anhalten müssen. Städte, die das schon gut umsetzen, seien München und Münster.

    Wichtig für den Umstieg aufs Zweirad seien auch schlau positionierte Parkmöglichkeiten in ausreichender Zahl. „Niemand möchte zum Ziel noch 100 Meter laufen müssen, nachdem er sein Rad abgestellt hat“, sagt Dahmen. Städte sollten an Bahnhöfen oder U-Bahnhöfen viele überwachte Plätze anbieten. Auch in Wohngebieten, wo es dezentrale Stellplätze braucht, ist Grenoble gut aufgestellt: 2300 abschließbare Stellplätze für Fahrräder stellt Mvélo+ zur Verfügung, darunter zwölf Fahrradparkhäuser – zumeist an den Bahnhöfen.

    Schwieriger Fahrrad-Markt

    Gut funktionierende Fahrradverleihe wie in Grenoble können mehr Menschen ans Fahrrad bringen. Das bestätigen die Wissenschaftlerinnen Dahmen und Kessler. Doch auch sie kennen die ökonomische Kehrseite: Leihangebote seien meist unprofitabel. „Die Angebote sind nicht überall verfügbar, wo sie gebraucht werden, die Instandhaltung ist aufwändig und auch Diebstahl und Randale sind ein Problem“, sagt Dahmen. „Trotzdem würden Städte gut daran tun, die Angebote zu unterstützen.“

    In vielen deutschen Städten herrschen meist kommerzielle Verleihsysteme wie Swapfiets oder Nextbike vor. Die Start-ups verbrennen am Anfang meist viel Geld und sind auf Investoren angewiesen, um in den Markt einzutreten. Durch Kooperationen mit Städten, Firmen und lokalen Mobilitätsanbietern können sie jedoch günstig in den bestehenden Nahverkehr integriert werden. Das ist zum Beispiel der Fall bei Nextbike, die mit den Kölner Verkehrsbetrieben kooperieren.

    Verluste machen aus Prinzip

    Mvélo+ arbeitet ebenfalls nicht kostendeckend. Das sei durchaus einkalkuliert, sagt Manager Laval. „Das Ziel von Mvélo ist es, dass mehr Leute in der Stadt Fahrrad fahren – dafür muss der Mietpreis attraktiv bleiben.“ Aus diesem Grund finanziere die kommunale Verkehrsgesellschaft SMMAG zu 100 Prozent den laufenden Betrieb und die Anschaffung neuer Räder. Gemessen am Gesamtbudget ist der Aufwand gering: Im Jahr 2022 gab SMMAG zwei Prozent seines Budgets für die Fahrräder aus. Und die von Mvélo+ erzielten Einnahmen entsprachen rund einem Prozent der Gesamteinnahmen der Transportinstitution.

    Der kommunale Verkehrsbetrieb ist nicht darauf angewiesen, dass Mvélo+ und andere Transportangebote Gewinne einfahren, da er genug Geld aus anderen Töpfen erhält. Die größte Einnahmequelle sind waren 2023 mit rund 125 Millionen Euro die Mobilitätsabgaben von Unternehmen, die in ganz Frankreich alle Betriebe mit mehr als elf Mitarbeitern zu entrichten haben. 18 Prozent der Einnahmen stammten aus dem Verkauf von Straßenbahntickets und anderer Fahrkarten. Hinzu kommen kamen  noch Zuschüsse der Metropole Grenoble-Alpes, der Region Auvergne Rhône-Alpes, dem Département Isère und der Communauté d’Agglomération du Pays Voironnais. Also alle Gebietskörperschaften, in denen SMMAG die Dienstleistungen anbietet.

    Ohne den politischen Willen, ohne Zuschüsse von Stadt und Kommunen könnte es den Fahrradverleih also auch in Grenoble nicht geben – trotz seiner Beliebtheit. Und was bedeutet das für deutsche Kommunen, die einen kommunalen Fahrradpool erwägen? Auch hier wird der Knackpunkt das Geld sein, sagen Dahmen und Kessler. „Wir empfehlen Städten, sich genaue Gedanken zur Finanzierung zu machen“, sagt Kessler. „Anstatt nur Steuermittel einzusetzen, könnte man auch Autofahrer über eine Citymaut dafür zahlen lassen.“

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