Antibiotikaresistenzen fordern jedes Jahr 1,3 Millionen Menschenleben auf der ganzen Welt. Ein israelisches Forscherteam hat nun die Ursachen dafür beleuchtet und entdeckt, weshalb sich diese Resistenzen so stark ausbreiten. Die Erkenntnisse bieten Chancen – nicht nur in der Medizin.
Fremde DNA kann bakterielle Abwehrsysteme austricksen. Die neue Erkenntnis eines Forscherteams von der Universität Tel Aviv könnte den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen entscheidend voranbringen und völlig neue Anwendungen in Medizin, Industrie und Umweltschutz ermöglichen. Das Forscherteam beschreibt diesen Prozess als eine Art „Iron Dome“ für Bakterien – ein hochentwickeltes Abwehrsystem, das dennoch überlistet werden kann.
Die Grundlage der Studie bildet die Untersuchung von 33.000 Plasmiden, also ringförmigen DNA-Fragmenten, die sich zwischen Bakterien austauschen lassen. Diese Plasmide sind für ihre Rolle bei der Weitergabe von Antibiotikaresistenzgenen bekannt.
Doch sie können noch mehr: Sie sind in der Lage, bakterielle Abwehrmechanismen gezielt auszuschalten. Mithilfe komplexer Computeralgorithmen identifizierten die Forscher spezielle Gene, die diesen Mechanismus ermöglichen.
Israelische Wissenschaftler erforschten Antibiotikaresistenzen
Ein entscheidender Fund war die strategische Anordnung dieser sogenannten Anti-Abwehr-Gene. Diese Gene befinden sich genau dort, wo das Plasmid in die Empfängerzelle eindringt. Diese Position erlaubt es den Genen, sofort aktiviert zu werden und die Verteidigungssysteme der Zelle auszuschalten. Ohne diese gezielte Platzierung wäre der Transfer nicht möglich.
In Laborexperimenten wurde demonstriert, dass Plasmide mit korrekt positionierten Anti-Abwehr-Genen das CRISPR-System der Bakterien, eine Art genetische Schere, überwinden konnten. Wenn die Gene hingegen an anderer Stelle platziert waren, zerstörte das Abwehrsystem das Plasmid, und die Bakterien blieben empfindlich gegenüber Antibiotika.
Warum sich Antibiotikaresistenz so schnell ausbreiten kann
Diese Entdeckung erklärt, warum sich Antibiotikaresistenzen trotz zahlreicher bakterieller Schutzmechanismen so rasch ausbreiten. „Wenn die Anti-Abwehr-Gene richtig positioniert sind, hat das Plasmid einen entscheidenden Vorteil“, sagt Bruria Samuel, Hauptautorin der Studie. Diese Erkenntnis könnte dazu genutzt werden, Resistenzen gezielt in Krankenhausbakterien zu bekämpfen.
Doch das ist nicht alles. Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Gene nicht nur für Resistenzen verantwortlich sind, sondern auch ein riesiges Potenzial für Anwendungen in der Biotechnologie bieten.
Manipulierte Bakterien könnten zur Verbesserung der Darmflora eingesetzt werden
Bakterien könnten künftig so manipuliert werden, dass sie Umweltprobleme lösen. Zum Beispiel könnte man Mikroorganismen entwickeln, die Schadstoffe aus dem Boden abbauen oder Kohlendioxid effizient binden. Auch die gezielte Verbesserung der menschlichen Darmflora gehört zu den Visionen der Forscher.
„Unsere Entdeckung macht Plasmide als Werkzeuge für die Genetik noch vielseitiger“, erklärt Studienleiter David Burstein. Obwohl sie schon längst genutzt werden, sei ihre Effizienz in Laborsituationen oft geringer als in der Natur. Das Team arbeitet daran, weitere Anti-Abwehr-Gene zu entdecken und die Nutzung von Plasmiden in der Biotechnologie zu optimieren.
Lösungen auch für ökologische und industrielle Probleme denkbar
Die Universität Tel Aviv sieht in dieser Entdeckung eine Revolution. Ronen Kreizman, CEO der Technologietransfergesellschaft Ramot, hebt die Bedeutung hervor: „Diese Forschung könnte bahnbrechende Lösungen für medizinische, ökologische und industrielle Herausforderungen bieten. Wir arbeiten intensiv daran, diese Technologie in die Praxis zu bringen.“
Mit diesem neuen Wissen könnten nicht nur Antibiotikaresistenzen eingedämmt, sondern auch globale Probleme wie Umweltverschmutzung und Klimawandel angegangen werden.
Das Wichtigste in Kürze:
- Fremde DNA kann bakterielle Abwehrsysteme umgehen, indem Anti-Abwehr-Gene strategisch positioniert und sofort aktiviert werden.
- Plasmide spielen eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen und bieten Potenzial für gezielte genetische Manipulationen.
- Die Forschung ermöglicht Anwendungen in Medizin, Industrie und Umwelt, darunter die Neutralisierung von Resistenzen und die Nutzung von Bakterien zur Schadstoffreduktion.
Von Anne Bajrica