Berlin. Der Wirtschaft geht es schlecht. Weil sich das verfestigt, muss der Wirtschaftsminister die Prognose kappen. Experten bewerten die Folgen.
Es gibt nicht viel zu beschönigen an der aktuellen Wirtschaftslage in Deutschland. Das weiß auch Robert Habeck, Grünen-Politiker und Bundeswirtschaftsminister. Doch bevor er auf die harten Zahlen zu sprechen kommt, ist es Habeck am Mittwochnachmittag daran gelegen, deutsche Vorzüge zu betonen.
Den Mittelstand, die vielen Weltmarktführer, die gelebte Sozialpartnerschaft, die vitale Start-up-Szene und die tiefe, deutsche Verwurzelung im europäischen Binnenmarkt nennt er dann unter anderem. „Deutschland ist ein Land voller Stärken und voller Stärke“, sagte Habeck. Derzeit aber sei die Lage „alles andere als zufriedenstellend“. Daraus werde man sich herausarbeiten, verkündete er optimistisch. Deutschland wird dafür aber einen längeren Atem benötigen als zunächst angenommen, besagt die aktuelle Herbstprojektion.
Was steht in der Konjunkturprognose?
Deutschland rutscht das zweite Jahr in Folge in eine Rezession. Rechnete die Bundesregierung noch im Frühjahr mit einem Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent in diesem Jahr, geht man nun davon aus, dass sich das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent verringern wird. Schon im vergangenen Jahr war die deutsche Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft. Zwei Jahre in Folge Minuswachstum gab es zuletzt 2002 und 2003. Damals hatten zuvor das Platzen der sogenannten Dotcom-Blase und die Terroranschläge in New York die Weltwirtschaft erschüttert. Deutschlands stark exportorientierte Wirtschaft zog das deutlich in Mitleidenschaft.
Wie schätzt Habeck die Aussichten ein?
Etwas besser. Konjunkturell, sagte Habeck, habe man die Probleme gelöst. Gehälter stiegen wieder stärker an als die Inflation. Um das deutlich zu machen, präsentierte Habeck am Mittwoch eine Grafik auf einer großen Tafel. Strukturell aber müsse man weiter Versäumnisse der „letzten Jahrzehnte“ aufholen, erklärte Habeck – und erklärte das alte deutsche Geschäftsmodell angesichts der veränderten Weltlage für beendet.
„Die deutsche Stärke beruhte auf billigem Gas aus Russland“, betonte er. Das habe es Deutschland ermöglicht, auch energieintensive Industrie hier zu halten. Daneben zeige nunmehr aber auch der Export Schwächen. Märkte wie China und USA setzten eher auf Protektionismus. „Die alte, deutsche Logik geht nicht mehr auf“, bescheinigte Habeck. Erkennbar sei, dass deutsche Firmen im Ausland eher Marktanteile verlieren. Im Inland rechnet der Minister mittelfristig hingegen wieder mit einem Anziehen des Konsums. Derzeit sei zwar die Sparquote noch hoch. „Mit sinkenden Zinsen wird erwartet, dass die Menschen ihr Geld auch wieder einsetzten“, so der Minister.
Was heißt das für die Bundesregierung und für die Steuereinnahmen?
Die Konjunkturprognose ist zusammen mit Arbeitsmarktdaten Grundlage für die Steuerschätzung im nächsten Jahr und damit auch wichtig für den Haushalt. Möglich, dass die Ampel nun weiter sparen muss. 2025 werde sich die wirtschaftliche Situation zwar etwas aufhellen, sagte Alexander Herzog-Stein, Arbeitsmarktexperte am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, dieser Redaktion. „Die konjunkturelle Erholung dürfte aber weniger dynamisch ausfallen als von der Bundesregierung angenommen.“
DIW-Präsident Marcel Fratzscher rechnet mit weniger Steuereinnahmen als angenommen. „Daher könnte die Bundesregierung perverserweise gezwungen sein, noch stärkere Einsparungen im Bundeshaushalt 2025 zu tätigen und somit die Wirtschaft weiter zu schwächen“, erklärte er.
Müssen noch mehr Deutsche Angst um ihre Jobs haben?
Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) geht davon aus, dass die anhaltende konjunkturelle Schwäche den Arbeitsmarkt zunehmend belasten wird. „Dies sehen wir gegenwärtig deutlich: Die schwache Arbeitskräftenachfrage der Betriebe erschwert es Arbeitssuchenden, eine Beschäftigung zu finden. In der Folge steigt die Arbeitslosigkeit“, erklärte Schäfer gegenüber unserer Redaktion. Für das nächste Jahr rechnet Schäfer mit weiter moderat steigender Arbeitslosigkeit und stagnierender Beschäftigung.
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Ähnlich sieht es auch Böckler-Forscher Herzog-Stein: „Die Arbeitslosigkeit wird weiter zunehmen – wir rechnen mit rund 165.000 zusätzlichen Arbeitslosen im Jahresmittel 2024– und der Beschäftigungsaufbau könnte zum Jahresende hin sogar zeitweise zum Erliegen kommen.“
Wo merkt man den Abschwung schon jetzt?
In vielen Branchen. Innerhalb der Autoindustrie, wo man die Kaufzurückhaltung hierzulande, aber auch im wichtigen chinesischen Markt spürt, haben unter anderem Bosch, Continental und Volkswagen angekündigt, Tausende Stellen abbauen zu wollen. Bei Deutschlands wichtigstem Autobauer wird sogar erstmals über Werksschließungen nachgedacht. Aber auch die Chemieindustrie und sogar die Softwarebranche sind betroffen: SAP will ein paar Tausend Jobs streichen, weil man plant, verstärkt auf Künstliche Intelligenz (KI) zu setzen.
Wie reagiert die Wirtschaft auf die neue Prognose?
Unternehmensvertreter warnen. Faktisch trete die Wirtschaftsleistung seit fünf Jahren auf der Stelle, erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Martin Wansleben. Konkret forderte der Wirtschaftsvertreter steuerliche Entlastungen für Unternehmen, unter anderem das Aus für den Solidaritätszuschlag. Auch energiepolitische Belastungen müssten abgebaut werden. Netzentgelte dürften nicht weiter steigen. Darüber hinaus müssten Genehmigungsverfahren beschleunigt und die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, vor allem für Infrastrukturleistungen, vereinfacht werden.
Wirtschaftsminister Habeck sieht beim Bürokratieabbau erste Erfolge. Gleichzeitig warnte er vor Gewinnen auf Kosten von Mensch und Umwelt. „Die Logik ist, die Standards zu wahren und gleichzeitig einfacher in der Umsetzung zu werden“, sagte er und gab sich kämpferisch. Global sehe er einen Wettlauf um grüne Technologien. Nicht nur dabei wolle Deutschland „als Sieger vom Platz gehen.“ Derzeit aber sieht es eher nicht danach aus.