Berlin. Wer sich nicht auf tiefe Beziehungen einlassen kann, leidet oft an Bindungsangst. Was dahinter steckt – und wie Paare damit umgehen können.
Die Begriffe „Bindungsstörung“ oder „Bindungsangst“ sind keine offiziellen Diagnosen, problematische Bindungsmuster treten jedoch häufig bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen auf.
So erleben Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung extreme Gefühlsschwankungen in Beziehungenwährend Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung sehr stark an ihrem Partner hängen. Narzissten wiederum zeigen wenig Empathie – für sie steht die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse im Mittelpunkt.
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Ein anderes Muster zeigt sich bei Menschen mit einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung – auch ängstliche oder ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung genannt. Sie sehnen sich nach Nähe, aber die Angst vor Zurückweisung hält sie auf Distanz. „Viele lassen sich nur auf eine Beziehung ein, wenn sie sich absolut sicher fühlen, akzeptiert zu werden“, erklärt Paarberaterin Prof. Dr. Ines Iwen, die als studierte Familiensoziologin zudem an der Berufsakademie IBA in Erfurt unterrichtet.
Menschen mit einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung wirken in Beziehungen oft abweisend, sehnen sich aber tief in ihrem Inneren nach Zuneigung.
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Bindungsangst in Beziehungen: Was sind die Ursachen?
Die Ursache dafür liegt wie so oft in der Kindheit. „Diese Menschen sind in einem unsicheren, schwer berechenbaren Umfeld aufgewachsen“, sagt Paartherapeutin Iwen. Viele hätten in ihrer Kindheit emotionale oder körperliche Gewalt erlebt, oft gepaart mit unzuverlässiger Zuwendung der Bezugspersonen. Dadurch verinnerlichten die Betroffenen drei tief verwurzelte Überzeugungen:
- „Die Welt ist ein gefährlicher Ort.“
- „Ich bin wertlos.“
- „Beziehungen sind unsicher.“
Dennoch bleibe die Sehnsucht nach echter Nähe, die bisher ausgeblieben ist. Diese Ambivalenz macht sich auch in der Partnerschaft bemerkbar: „Die Partner werden lange geprüft, bevor Intimität zugelassen wird“, sagt Iwen. Dahinter stehe die Angst vor Enttäuschung. „Sie stehen zwischen dem Bedürfnis nach Zuneigung und ständigem Misstrauen“, so die Expertin. Jede Nähe bedeute für die Betroffenen das Risiko, verletzt zu werden, weshalb sie sich immer wieder zurückzögen.
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Wie führt man eine Beziehung mit einer ängstlich-vermeidenden Person?
Wer mit einem ängstlich-vermeidenden Partner zusammenlebt, merkt schnell: Nähe ist für ihn ebenso ersehnt wie gefürchtet. „Die Angst vor der Unzuverlässigkeit der Liebe ist immer da“, sagt Paartherapeutin Iwen. Sich fallen zu lassen, falle den Betroffenen schwer, weil tief sitzende Glaubensmuster Nähe mit Schmerz verbinden.
Statt Gefühle offen zu zeigen, neigen ängstlich-vermeidende Menschen laut der Paartherapeutin dazu, Emotionen zu unterdrücken und Frust aufzubauen – um ihn dann auf den Partner zu projizieren. „Sie klammern sich an den anderen, stoßen ihn aber gleichzeitig aus Angst vor emotionaler Verletzung unbewusst von sich weg“, beschreibt Iwen.
Dieses ambivalente Verhalten kann für den Partner frustrierend sein, weil die Beziehung trotz aller Bemühungen auf Distanz bleibt. Doch mit Geduld und Verständnis lässt sich diese Barriere überwinden. „Der Partner sollte die Unsicherheiten des anderen akzeptieren, ohne die eigenen Bedürfnisse völlig zurückzustellen“, rät Iwen. Das ist ein Balanceakt: Einerseits braucht der Betroffene Zeit und Raum, um Vertrauen aufzubauen. Andererseits sollte der Partner darauf achten, die eigenen emotionalen Grenzen nicht zu überschreiten.
Professionelle Unterstützung kann hier eine wichtige Rolle spielen. „Eine Paar- oder Einzeltherapie kann helfen, die Ängste der Betroffenen abzubauen und mehr Vertrauen in die Beziehung aufzubauen“, sagt Iwen. Die therapeutische Begleitung ermögliche es, die tieferen Ursachen der Vermeidungsstrategien zu verstehen und daran zu arbeiten.
In diesem Prozess verändert sich auch die Kommunikation zwischen dem Paar. Wo vorher Schweigen oder Vorwürfe herrschten, können ehrliche Aussagen fallen: „Ich fühle mich unsicher, weil du so spät nach Hause kommst“. Diese Offenheit gibt dem Partner Sicherheit – und macht aus einem ständigen Hin und Her einen echten Dialog. „Wenn Nähe nicht mehr als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfunden wird, kann aus Unsicherheit echte Verbundenheit werden“, resümiert Iwen.