Die Zahl, die in einigen Online-Medien kursierte, klingt erschreckend: Mindestens 72 Bakterien- und Viren-Kolonien sollen sich im Laufe eines Tages auf Haut und Kleidung ansammeln.
Das klingt viel – und gefährlich. In manchen Familien gilt deshalb: Auf keinen Fall in Straßenkleidung ins Bett!
Prof. Johannes Knobloch sieht das gelassen. Der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie sagt: „Ich habe nicht gezählt. Aber klar ist: Wenn ich von draußen in meine eigene häusliche Umgebung zurückkehre, bringe ich immer etwas mit, was vorher nicht da war“.
Experte: Straßenkleidung stellt kein hohes Risiko dar
Ob uns diese Keime gefährlich werden können, hängt von vielen Faktoren ab. Zum einen von unserem eigenen Gesundheitszustand. Zum anderen von der Lebensdauer der Bakterien und Viren. Dazu gehört auch, wie gut sie unter nicht optimalen Bedingungen überleben können.
„Da gibt es große Unterschiede zwischen den Viren“, sagt Knobloch, der die Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf leitet. Sogenannte behüllte Viren – Influenza- oder Coronaviren zum Beispiel – haben auf Oberflächen nur eine sehr kurze Überlebenszeit.
„Wenn ich sie nicht direkt von dort aufnehme und auf meine Schleimhäute bringe, habe ich keine Infektion mehr, wenn ich wieder zu Hause bin.“
Unbehüllte Viren verhalten sich anders. Zum Beispiel Noroviren, die Erbrechen und Durchfall auslösen: Schon wenn man nur wenige davon an die Finger bekommt und sie dann in den Mund steckt, kann es leicht zu einer Übertragung kommen.
„Aber nicht über die Kleidung“, stellt Knobloch klar. Gleiches gilt für Atemwegsinfektionen: Da müsste man sich schon viel ins Gesicht fassen oder in die Augen kommen.
Das Risiko einer Infektion ist gering
Doch wann könnte uns unsere Straßenkleidung wirklich gefährlich werden – und welche Rolle spielen dabei Bett oder Sofa? Für den Hygieneexperten sind das sehr theoretische Fälle. Obwohl natürlich nichts unmöglich ist.
Ein Beispiel: Im Bus sitzt jemand mit eitrigen Hautpusteln, kratzt sich daran und berührt dann Sitze und Armaturen. Es könnte sein, dass einer der nächsten Fahrgäste genau diese Stellen ebenfalls berührt und den Erreger mit nach Hause – ins Bett – nimmt.
„Dann ist nicht auszuschließen, dass sich so ein Staphylococcus aureus sogar noch ein bisschen vermehrt. Und wenn ich dann noch einen kleinen Kratzer habe, kann ich mich tatsächlich mit dem Erreger infizieren“, sagt Johannes Knobloch.
Allerdings: „Auf der trockenen Oberfläche vermehren sie sich gar nicht.“ Das Risiko sei also auch hier „sehr überschaubar“.
Das individuelle Hygieneempfinden ist entscheidend
Auch der Bonner Infektiologe Peter Walger kann beruhigen: Bei gesunden Patienten spiele Kleidung als Übertragungsweg von Krankheiten im häuslichen Umfeld „so gut wie keine Rolle“.
Deshalb gibt es auch keine Vorschriften dazu, wie man sich zu Hause am besten verhält. Die Antwort auf die Frage „Straßenklamotten auf dem Bett – ja oder nein?“ hängt also vor allem am eigenen Sauberkeits- und Hygieneempfinden.
Und da ist das Spektrum weit, wie Walger, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene beobachtet. „Einige sind extrem pingelig und wechseln die Bettwäsche häufiger als alle zwei Wochen. Manche legen eine Tagesdecke aufs Bett, und anderen ist es völlig egal.“
Wer muss besonders aufpassen?
Doch es gibt auch Ausnahmen, also Menschen, die zu Hause in Sachen Hygiene doch etwas strenger vorgehen sollten. Zum Beispiel Menschen mit offenen Wunden, mit einer Neurodermitis, einem chronischen Ekzem oder auch mit schlecht eingestelltem Diabetes mellitus.
„Deren Haut kann massiv von Keimen besiedelt sein, die sich unter bestimmten Umständen zum Infektionsrisiko entwickeln können, zum Beispiel bei einer Operation oder Verletzung“, sagt Peter Walger.
Diese Patienten sollten daran denken, sich selbst und andere zu schützen – zum Beispiel durch besonders intensive Hygiene- und Sauberkeitsregeln im Haushalt.
Für solche Risikopatienten sei zum Beispiel wichtig, Kleidung und Bettwäsche häufiger zu waschen – einzelne Stücke sogar bei mindestens 60 Grad. „Unmittelbar danach gibt es so gut wie keine Keime mehr, von denen ein Risiko ausgehen könnte“, sagt Walger.
Kein Risiko kaum möglich
Auch Allergikerinnen und Allergiker könnten Keime Probleme bereiten – etwa, wenn sie sich auf eine Parkbank setzen. Denn die kann randvoll sein mit Bakterien und Pilzsporen, die wir über die Kleidung aufnehmen und nach Hause tragen können. „Das macht mich zwar nicht unbedingt krank, aber wenn ich ein Allergiker bin und davon viel mitbringe, kann es möglicherweise tatsächlich nicht gut sein, wenn ich die nachts die ganze Zeit einatme“, sagt Knobloch.
Sein Fazit: „Man kann nicht behaupten, es gibt gar keine Gefahr durch Keime an der Kleidung – aber die ist sehr überschaubar.“ Letztendlich gebe es keine Tätigkeit, die mit einem Null-Risiko verbunden sei. „Wer sich gar keiner Gefahr aussetzen will, müsste sich den Rest seines Lebens in seiner Wohnung einsperren.“