Körper und Seele profitieren nachhaltig von einer Kur. Die dafür nötigen Heilmittel liefert die Natur zwischen Nordsee und Alpen mehr als reichlich. Eine Rundreise zu den Quellen der Gesundheit.
Schwarzwald
Christine Grabrucker weiß noch gut, wie sie zum ersten Mal durch den Schwarzwald wanderte. Der Himmel war wolkenverhangen, die Luft feucht. Ein Trampelpfad führte durch dichtes Grün. Üppige Farne säumten den Steig, Flechten hingen wie Bärte von Bäumen. Als Grabrucker auf einen Gipfel zuging, öffnete sich der Blick, und sie sah über herbstgoldene Heidelbeersträucher bis auf die Schweizer Alpen. „Das gibt es hier oft, dass sich unerwartet Fenster auftun“, hat die 52-Jährige mittlerweile gelernt.
Vor drei Jahren ist Grabrucker aus Bayern in den Hochschwarzwald in den Südwesten Deutschlands gezogen – der Liebe wegen und weil da eine Berufung lockte. Als Wildnispädagogin führt sie seitdem Gäste durch ihre Wahlheimat. „Manchmal legen wir uns auf den Rücken direkt ins Moos. Sehen die Wolken ziehen, lauschen plätschernden Bächen.“ Die Natur habe hier so etwas Erfrischendes, hört Christine Grabrucker oft, wenn gestresste Großstädter nach ein paar Stunden oder auch nach mehrtägigen Retreats wieder abreisen.
Dass dieser Eindruck nicht auf Einbildung beruht, lässt man sich mancherorts sogar beurkunden. Insgesamt sechs Gemeinden östlich von Freiburg tragen das staatliche Prädikat „heilklimatischer Kurort“. Dieses Gütesiegel steht für eine nachgewiesene spezifische therapeutische Wirksamkeit des Ortsklimas. Geballte Naturkräfte mit Gesundheitseffekt gibt es natürlich nicht nur im Hochschwarzwald. Zwischen Nordsee und Alpen verteilen sich mehr als 350 Heilbäder und Kurorte. Hervorstechendes Merkmal dieser Gemeinden sind sogenannte ortsgebundene Heilmittel – bestimmte Gegebenheiten, die der Prävention und Rehabilitation von Krankheiten dienen.
An der See etwa lösen die maritimen Aerosole – winzige Salzwassertröpfchen, die beim Aufenthalt in der Brandungszone eingeatmet werden – Schleim aus den Atemwegen. Menschen mit Asthma oder chronischer Bronchitis hilft das, befreit durchzuatmen. Rheumatiker wiederum schätzen die entzündungshemmende Wirkung bayerischer Moorbäder. Und wer schlecht schläft, findet vielleicht beim Kneippen im Erzgebirge Erholung. Nicht selten ist es das Zusammenspiel mehrerer Komponenten, das die wohltuende und abwehrstärkende Wirkung erklärt.
Der Gesundheitseffekt des Schwarzwalds entspringt vor allem dem Klima. Reichtum an Natur und Armut an Industrie oder Verkehr schaffen eine hohe Luftreinheit. „Das im Schwarzwald vorherschende Schonklima mit seiner vergleichsweise ausgeglichenen Temperatur und Luftfeuchtigkeit lindert Allergien und chronische Atembeschwerden“, weiß Nicolaus Prinz, Klimatherapeut und Gutachter für Kurorte aus Kirchzarten. Prinz kennt zahlreiche Hoteliers im Hochschwarzwald, die stolz sind, dass ihre Häuser keine Klimaanlage benötigen.
Schonklima im Schwarzwald
Ab etwa 300 Meter Höhe warten die waldreichen Mittelgebirge mit einem sanften Heilklima auf. Typisch sind mittlere Temperaturen, ausgeglichene Luftfeuchtigkeit sowie hohe Luftreinheit.
- Menschen mit Herz- und Kreislaufproblemen oder mit Erschöpfungsanzeichen profitieren von diesem Schonklima.
- Bei einer Klimakur in diesen Regionen spielt Bewegung eine wichtige Rolle.
- Der Gegensatz zum Schonklima ist das Reizklima etwa an der Nordsee.
Bad Aibling, Bayern
Anderswo hält der Boden natürliche Heilkräfte bereit – etwa in Form von Moor. Der Torf für das schmerzlindernde und entzündungshemmende Überwärmungsbad wird beispielsweise in Bad Aibling südlich von München gewonnen. Zwischen Bergen und Biergärten öffnete hier bereits vor 175 Jahren eine „Moorbadeanstalt“. Später, Mitte der 60er-Jahre, wurden große Rheumakliniken gebaut.
Vom „schwarzen Gold“ sprechen Einheimische wie Maximilian Panradl, der das Naturprodukt in dritter Generation im Bad Aiblinger Familienunternehmen abbaut. „Das Moor ist im Zuge der letzten Eiszeit durch verlandete Wälder und Pflanzen um den einstigen Rosenheimer See entstanden“, so Panradl. Wer einen Eindruck bekommen möchte, wie so eine Landschaft im Urzustand aussieht, fährt zur Sterntaler Filze. Zwischen knorrigen alten Bäumen und Heidekraut balanciert man hier auf einem 650 Meter langen Bolenweg über das knietiefe Bademoor.
An drei Tagen die Woche beliefert Panradl die zwei großen Kliniken und das Kurmittelhaus des Ortes mit dem Lkw. Und die noch recht junge Bad Aiblinger Therme, in der man Moorschwebstoffbäder rezeptfrei buchen kann. „Der Körper wird hier nicht so stark überwärmt wie beim verordnungspflichtigen dickbreiigen Bad“, weiß der 55-Jährige. Dennoch würden über die Poren der Haut genügend Inhaltsstoffe aufgenommen, um therapeutische Effekte zu erzielen.
Anlegen in Bad Aibling
Das Überwärmungsbad im dunklen Sud ist eine bewährte Medizin bei Schmerzen an Gelenken oder Rücken.
Der Torf wird zur Hälfte mit Wasser vermischt und auf etwa 42 Grad erwärmt. Das künstliche Fieber entspannt die Muskeln und kurbelt Stoffwechsel sowie Immunsystem an.
- Als wirksamste Einzelsubstanz im Badetorf gilt die entzündungshemmende Huminsäure. Zudem finden sich Gerbstoffe, Pflanzenhormone, ätherische Öle und weitere Stoffe.
- Die Badezeit beträgt etwa 20 Minuten. Vorsicht ist bei Herzerkrankungen und Bluthochdruck geboten.
Füssen im Allgäu
Gut 120 Kilometer weiter östlich, in Füssen im Allgäu, setzen Therapeuten vor allem auf Kältereize als Therapie. Der Ort hat sich auf die Kneipp’sche Badekur spezialisiert. Sie ist die einzige Kurmaßnahme, die ohne ortsgebundenes Heilmittel auskommt, denn Wasser ist in jedem Kurort vorhanden. Was zählt, sind eine gute Infrastruktur und ein adäquates Know-how. Beides ist in Füssens Stadtteil Hopfen am See gegeben, sagt Andreas Eggensberger, der hier ein Hotel, eine Kurklinik und ein Therapiezentrum leitet.
Am Ufer des malerisch gelegenen Hopfensees ist der Naturheilkundler Sebastian Kneipp allgegenwärtig: Drei Tret- und mehrere Armbecken gibt es hier. Auf Gedankenbänken lässt es sich über 200 Zitate von Kneipp sinnieren. Eine ins Wasser ragende Holzkonstruktion entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nicht etwa als Bootssteg: In der Mitte befindet sich ein Loch, in das man hineinsteigen kann, um im frischen Seewasser zu kneippen.
„Den Abgehärteten greift nichts an“, postulierte Sebastian Kneipp. Eine Weisheit, die mittlerweile wissenschaftlich untermauert ist. Gezielt gesetzte Reize mit 16 bis 18 Grad kaltem Wasser fördern neben Durchblutung und Abwehrkräften auch die Stresstoleranz. Das gilt speziell für die Zumutungen des hektischen Alltags, die an den Nerven zerren: Eine aktuelle Studie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität konnte eine signifikante Verbesserung von Schlafstörungen nach drei Wochen Kneippkur belegen. Möglich, dass in Hopfen am See auch die herrlichen Ausblicke auf Gewässer und Berge und das Hochgebirgsklima einen entsprechenden Beitrag leisten. Oder die Tatsache, dass die „Bäderkur“ mit KneippGüssen im Kurmittelzentrum in einem lichtdurchfluteten Raum mit Schlossblick stattfindet.
Kneippkur in Füssen
Kneippen stärkt Kreislauf und Immunsystem, bringt die Psyche in Balance und schenkt erholsamen Schlaf
Der Pfarrer und Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821–1897) entwickelte diese Kurform. Sie verknüpft Hydrotherapie mit Ernährung, Bewegung, Kräuterheilkunde und Lebensordnung.
- Eine klassische Kneipp-Kur dauert drei bis vier Wochen. Hydrotherapie bildet bis heute die Grundlage der Kur. Kneipp verwendete mehr als 100 Wasseranwendungen, zum Beispiel Güsse, Wickel, Bäder und Waschungen.
- Etliche Effekte des Kneippens haben sich in Studien bestätigt. So zeigte die Uni Jena, dass kalte Güsse und Waschungen des Oberkörpers auf Dauer zu weniger Atemwegsinfekten führen.
Feucht, Ostsee
Am anderen Ende Deutschlands, in Schleswig-Holstein, ist es vor allem das Zusammenspiel von Wind, Salz und Sonne, das den Menschen Gutes tut. Für Dieter Riebe etwa, Oberarzt an der Vamed Rehaklinik Damp, ist es selbstverständlich, die Mittagspause am Ostseestrand zu verbringen oder auch nach Feierabend ein Stück weit am Meer entlangzulaufen. „Vor allem bei stärkerem Wind ist ein solcher Spaziergang wie ein Medikament“, sagt Riebe. Asthmatiker bräuchten in Damp oft schon nach kurzer Zeit weniger Medikamente. Pollenallergiker können mit einem Rückgang an Beschwerden rechnen, da die Meeresluft schadstoff- und allergenarm ist. Auch für die Haut ist die Seeluft ein Schmeichler.
„Aerosole sind vorwiegend Salzwassertröpfchen, die je nach Größe in den Nasen-Rachen-Raum oder bis in die Lungenbläschen wandern“, erklärt Riebe. Direkt an der Wasserkante ist der Salzgehalt der Luft am höchsten, schon zehn bis 15 Meter weiter landeinwärts ist die Salzkonzentration nur noch halb so hoch.
Entscheidend für eine gelungene Klimatherapie ist, dass die Reize entsprechend stark gesetzt werden. „Es macht einen Unterschied, ob ich an einem milden Sommertag im Strandkorb sitze oder mich bei windigem Spätsommer- oder Herbstwetter an der Küste bewege und die Luft mit dem gelösten Salz tief einatme“, sagt Riebe. Je stärker der Wind bläst, deto mehr heilende Salze, Jod und Spurenelemente gelangen aus dem Meerwasser in die Atemluft, lautet die Faustregel.
Großenbrode, Ostsee
Zwei Fahrstunden weiter südwestlich, in Großenbrode, kommt der Seewind gleich von drei Seiten.Nicht weniger als zwei Drittel der Halbinsel sind von Strand und Meer umgeben. „Das macht was mit einem“, versichert Stefan Kraus, der das örtliche Kurzentrum leitet und von Großenbrodes landschaftlicher Vielfalt schwärmt. Etwa vom ursprünglich belassenen Weststrand mit Dünen, Wäldern und Wiesen. Oder vom Südstrand, der zum Baden einlädt. „Dazwischen lockt ein Abschnitt mit Steilküste“, sagt Kraus. 20 Minuten Radfahren, ohne dass man jemanden trifft, das sei hier nichts Außergewöhnliches.
Die natürlichen Ressourcen der Insel – einer der sonnenreichsten Flecken in Deutschland – lassen sich auf eigene Faust ebenso nutzen wie eingebunden in ein medizinisches Programm. Viele Gäste schätzen die direkt ans Kurzentrum angeschlossene Apartmentanlage. Die mit gefiltertem Seewasser gespeisten Therapiebecken und Bäder des Zentrums kann man wahlweise als Selbstzahler oder im Rahmen einer ambulanten Kur nutzen.
Manch einer mag das zunächst kaum glauben: dass in Großenbrode für ein medizinisches Bad naturbelassenes Ostseewasser aus dem Hahn kommt. „Menschen mit Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Schuppenflechte wissen die heilsame Wirkung des Meerwassers besonders zu schätzen“, sagt Stefan Kraus. Auch Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselleiden würden profitieren. Weitere Indikationen für einen „Kurlaub“ an der Ostsee sind Erschöpfungszustände und Infektanfälligkeit. Übrigens sei auch Großenbrodes Luft im Rahmen eines umfassenden Qualitätsgutachtens prädikatisiert worden, bemerkt Kraus.
Wind, Wasser, Luft – in Großenbrode scheinen alle Elemente im Dienst der Gesundheit zu stehen.
Reizklima an der Ostsee
Die intensiven Klimareize am Meer regen Stoffwechsel und Immunsystem an. Die salzhaltige Luft lindert Atemwegsleiden.
Das maritime Reizklima setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen: Wind, Kühle, UV-Strahlung und salzhaltigen Aeorosolen.
Direkt in der Brandungszone ist der Gehalt an Meerwassertröpfchen in der Luft am größten. Das Salz löst Schleim aus den Atemwegen – wohltuend bei Asthma und chronischer Bronchitis.
An der Nordsee ist das Klima intensiver als an der Ostsee mit ihrem geringeren Salzgehalt. Hier spricht man von einem „abgeschwächten Reizklima“.
Dieser Artikel wurde verfasst von Elisabeth Hussendörfer, Medizinredakteurin