Die deutsche Automobilbranche befindet sich im Umbruch: Steigende Energiepreise, der Druck zur Elektrifizierung und eine rückläufige Auftragslage setzen nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Beschäftigten erheblich unter Druck.
Bei Daimler in Sindelfingen müssen die Arbeitnehmer frühzeitig in den Winterurlaub gehen. Ein langjähriger Mitarbeiter des Mercedes-Werks spricht anonym mit FOCUS online über die wachsende Unsicherheit, die Herausforderungen der E-Mobilität und die Rolle der Politik für die Zukunft der deutschen Automobilindustrie .
Mercedes-Mitarbeiter sind verunsichert
FOCUS online: Wie haben Sie bei Daimler die Veränderungen in der Automobilbranche wahrgenommen?
Mercedes-Mitarbeiter: Unsicherheiten merken wir extrem. Wir haben bei uns eine ganze Schicht eingestellt. Das macht natürlich auch den Mitarbeitern zu schaffen. Wir mussten Mitarbeiter abgeben, Mitarbeiter wurden entlassen. Leihfirmen, die ihre Mitarbeiter zur Verfügung gestellt haben, die wurden praktisch gekündigt. Im Großen und Ganzen läuft es noch einigermaßen, aber die schweren Zeiten stehen wohl erst noch bevor.
Wie geht es Ihnen damit?
Mercedes-Mitarbeiter: Ich bin ein bisschen zwiegespalten, muss ich sagen. Ich kann leider nicht in die Glaskugel schauen. Ich hoffe aber auf bessere Zeiten nächstes Jahr. Aber das liegt nicht in meiner Hand, leider Gottes.
Sie werden vorzeitig in den Weihnachtsurlaub geschickt. Wie wird das von den Kollegen wahrgenommen?
Mercedes-Mitarbeiter: Über Weihnachten und Neujahr haben wir generell immer eine Blockpause. Diese fällt in der Regel zweiwöchig bis maximal dreiwöchig aus. Letztes Jahr waren es tatsächlich auch vier Wochen, dieses Jahr sind es wieder drei Wochen. Man merkt, die Auftragslage lässt zu wünschen übrig. Den Kollegen macht das natürlich zu schaffen. Aber ich sage, es könnte auch weitaus schlimmer sein. Siehe Volkswagen, siehe Toyota.
Wird Schwaben das neue Ruhrgebiet?
Der von Experten gezogene Vergleich „Schwaben wird das neue Ruhrgebiet“ suggeriert einen drastischen Strukturwandel, massive Verluste an Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Bedeutung. Halten Sie diesen Vergleich für zutreffend?
Mercedes-Mitarbeiter: Eher nicht. Ich sage immer: Der Süden ist das Herz von Deutschland. Mit unserer starken Automobilindustrie – Audi, BMW, Mercedes, Porsche –, eben alles, was im Süden ist, hält Deutschland noch am Leben. Wenn der Süden hustet, dann ist Deutschland wirklich krank. Da muss man aufpassen.
Wer ist in Ihren Augen hauptverantwortlich für Ihre Lage?
Mercedes-Mitarbeiter: Ich gebe der ganzen Ampelkoalition die Schuld. Die haben alles runtergewirtschaftet mit ihrer Ideologie, mit ihrer Elektrifizierung von Automobilen. Das geht total in die Hose. Ich hoffe, dass die Politiker jetzt aufgewacht sind. Gefühlt ist der Zug aber jetzt schon abgefahren.
Die Grünen als Retter der Autoindustrie?
Die Grünen stellen sich mit dem geplanten Umstieg auf E-Mobilität gewissermaßen als Retter der deutschen Autoindustrie dar. Wie stehen Sie dazu?
Mercedes-Mitarbeiter: Ich bin der Meinung, dass die Grünen die Automobilindustrie zerstören wollen. Und das mit dieser Batterie, dass das die Zukunft sein soll, kann ich mir nicht vorstellen. Man wollte an synthetischen Kraftstoffen forschen, das will die EU nicht. Man müsste keine neuen Motoren entwickeln, und der Vorrat wäre nahezu unbegrenzt. Aber Batterien, das ist immer so eine Sache. Rohstoffe und die Herstellung einer Batterie, das ist mit ganz schön vielen Problemen verbunden.
Sie halten von E-Mobilität oder deren Förderung eher weniger?
Mercedes-Mitarbeiter: Nein, gar nichts. Von E-Mobilität bin ich gar kein Freund.
Und wie ist die Meinung im Unternehmen zur E-Mobilität? Denken die meisten so wie Sie?
Mercedes-Mitarbeiter: Tatsächlich denke ich, dass mittlerweile 99 Prozent sagen, dass diese Vorgehensweise mit der Batterie ein Fehler war und dass es auch jetzt nach hinten losgeht und noch viel, viel mehr nach hinten losgehen wird.
„Im nächsten Jahr muss sich gewaltig etwas ändern“
Wie sollte es dann Ihrer Meinung nach weitergehen in der Automobilbranche?
Mercedes-Mitarbeiter: Als allererstes brauchen wir bezahlbare Energie. Das ist der Hauptgrund, warum viele, viele Firmen ins Ausland abwandern . Gerade Deutschland hat hohe Gehälter, wir haben auch ein Siegel „Made in Germany“. Wir haben jahrzehntelang in der Liga ganz oben mitgespielt. Mittlerweile lacht die ganze Welt über dieses Siegel. Es muss sich was ändern.
Wann waren Sie das letzte Mal so richtig stolz auf das Unternehmen, in dem Sie arbeiten? Ist das komplett vergangen, oder glauben Sie noch daran?
Mercedes-Mitarbeiter: Ich glaube immer noch an die Zukunft von Mercedes, weil wir nicht nur Erfinder des Automobils, sondern auch Vorreiter von Innovationen, Sicherheit und, und, und sind. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Ein Mercedes kostet auch dementsprechend mehr als ein VW. Und wenn es jetzt VW schon schlecht geht … Ich bete, dass es dem Unternehmen nächstes Jahr besser geht. Aber man hört Schlechtes, leider Gottes.