Ein Bericht von Arno Luik: Nach dem Krebs entdeckt der Arzt einen Fleck auf meiner Lunge – und mein Gehirn rast
Sonntag, 16.02.2025, 11:11
Vor knapp drei Jahren bekam Arno Luik eine niederschmetternde Diagnose: Krebs. Seine letzte Untersuchung zeigte Erfreuliches: In ihm sind keine aggressiven Krebszellen mehr. Ein Erfahrungsbericht, der Hoffnung macht.
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Im Sommer 2022 bekam ich eine Diagnose, vor der sich wohl alle Menschen fürchten: Krebs . „Setzen Sie sich,“ hatte der Arzt nach der Routineuntersuchung gesagt, „ich habe schlechte Nachrichten für Sie. Ich habe in Ihrem Darm einen großen Tumor gefunden. Es sieht ziemlich schlecht für Sie aus. Wenn Sie Glück haben, hat er noch nicht ausgestrahlt.“
Bis zu diesem Moment hatte ich mich, dämlich überheblich, für unverletzlich gehalten. Ich hatte ja in meinem ganzen Arbeitsleben keinen einzigen Tag wegen Erkältung, Fieber oder Schlimmerem gefehlt, ich war immer gesund, fit – und nun dies!
Von einer Sekunde auf die andere fiel ich an diesem Sommertag aus meinem „normalen“ Leben heraus, wurde aus all dem herauskatapultiert, was ich für selbstverständlich hielt. Verunsicherung, Angst übernahmen nun die Herrschaft über mein Leben. Ich unterwarf es einem rigiden Regime in der unstillbaren Sehnsucht nach Leben. Mein Hauptberuf wurde nun Krebsbewältigung : eine unendliche Abfolge von Untersuchungen, Besprechungen, Bestrahlungen, Chemotherapie, Operation, nochmals Chemotherapie, nochmals Operation.
Und wie fühle ich mich heute? Wunderbar. Herrlich. Unendlich glücklich.
Krebs besiegt: Ich freue mich, dass ich noch am Leben bin
Ich freue mich, dass ich noch am Leben bin, am Leben sein darf. Dass ich noch am Leben bin, damit habe ich nicht gerechnet. Ich hatte unendliches Glück.
Vor einem Jahr, es war nach einem kleineren Eingriff, es sollte der hoffentlich letzte sein, ging ich vom Krankenzimmer die Treppen runter, achtlos vorbei am „Raum der Stille“. Dann drehte ich um, setzte mich in diesen Raum. Ziemlich lange saß ich einfach nur da. Auf einem Pult ein dickes Buch, in dem die Kranken, die Gesunden, die Geheilten, die immer wieder Kranken, die Hoffenden, die Verzweifelten ihre Gefühle hineinschreiben können. „Danke“, schrieb ich.
Ich wandle natürlich seit dieser Krebsdiagnose – und da geht es mir wie Hunderttausenden von Mitbürgern, die Krebs haben oder hatten – auf dünnem Eis. Das Leben ist zu oft für zu viele zu brutal.
Über den Autor
Arno Luik war Reporter für “Geo” und den Berliner “Tagesspiegel”, Chefredakteur der “taz”, Vizechef der “Münchner Abendzeitung” und langjähriger Autor der Zeitschrift “Stern”.
Sein Buch „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Bahn“ stand nach seinem Erschienen wochenlang auf den Bestsellerlisten. Für seine Enthüllungen in Sachen “Stuttgart 21” erhielt Luik den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche.
Gespräche von „Deutschlands führendem Interviewer“ (taz) sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden; für sein Gespräch mit Inge und Walter Jens wurde Luik 2008 als „Kulturjournalist des Jahres“ ausgezeichnet. Seine besten Interviews hat er gerade veröffentlicht, der Titel des Gesprächbands ist ein Zitat von Angela Merkel:
„Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna“ (Westend, 2022, 287 Seiten, 24 Euro).
Die Selbstverständlichkeit des Daseins ist verschwunden. Im Kopf ist nun stets der Gedanke: Kommt der Krebs zurück? Ein Gedanke, den wohl alle haben, die an Krebs erkrankt sind.
Meine Sehnsucht nach Leben ist riesengroß
Was bringt mir die Zukunft? Ist sie kürzer geworden? Meine Sehnsucht nach Leben ist riesengroß. Alle drei Monate gehe ich nun zu Nachuntersuchungen. Ich werde, wie es die Mediziner nennen: „engmaschig überwacht“.
Die Tage vor solch einer Untersuchung sind Tage voller Anspannung, ein Gefühl, das sich nach und nach immer mehr aufbaut, unaufhaltsam. Und die vorletzte Untersuchung im vergangenen Herbst war ein Schock.
Es dauerte sehr lange, bis mich der Radiologe in sein Sprechzimmer abholte. Ich saß im Wartezimmer und wartete und wartete, und die Gedanken rasten. Dieses verdammte Gehirn, das sich nicht abschalten lässt. Diese verdammten Gedanken. Warum, verdammt nochmal, lässt mich der Arzt so lange warten? Hat er in meinem Körper wieder Krebszellen entdeckt? Sind vielleicht doch ein paar aggressive Krebszellen irgendwohin in meinem Körper gewandert?
Endlich kommt der Arzt, und ich scanne seinen Gesichtsausdruck, seine Bewegungen: Guckt er mürrisch? Traurig? Er bewegt sich so langsam – irgendwie bedrückt? „Setzten Sie sich“, sagt er, „und gucken Sie auf diese Röntgenaufnahme. Ich habe auf ICH hrer Lunge einen Fleck entdeckt, der vor zwei Jahren nicht war. Das beunruhigt mich . “ Es beunruhigt ihn. Mich schockt es. War also diese ewige Tortur von Bestrahlungen, Chemos, Operationen – war sie umsonst? Ich sitze da, bin erschlagen.
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Ich spreche mit dem Arzt, aber ich höre kaum mehr zu, mein Gehirn streikt. „Ihr Onkologe kann dazu mehr sagen.“
Internet-Recherche: Eine ganz schlechte Idee
Zu Hause schaue ich – was ich bisher bewusst vermieden habe – im Netz nach, was so ein Fleck bedeuten kann. Eine ganz schlechte Idee. Horror pur. Nach ein paar Minuten schalte ich den Computer aus.
Das Gespräch mit meinem Onkologen beruhigt mich etwas. Man müsse den Fleck beobachten, schauen, wie er sich entwickelt, ob er größer wird. Im Dezember soll ich nochmals in den CT. Wieder nervende Ungewissheit, wochenlang.
An Weihnachten mache ich seit vielen Jahren ein großes Festessen für meine Verwandtschaft. Soll ich es absagen? Nein. Ich sage den Untersuchungstermin ab und lasse ihn auf Ende Januar verschieben. Ich möchte vor Weihnachten keine böse Überraschung erleben, will fröhlich sein, für Momente vergessen, dass – vielleicht! Hoffentlich nicht!! – dieses garstige Viech, der Krebs, in meinen Körper zurückgekehrt ist.
Noch nie habe ich mich über dieses Wort so gefreut
Es ist ein kalter, nebliger Januartag, als ich zur radiologischen Praxis gehe, nein, schleiche. Es ist wie immer vor diesem Canossagang: Die Gedanken rasen. Ich sitze im Wartezimmer, starre stur vor mich. Ich komme ins CT, das dauert nur ein paar Minuten, gehe zurück ins Wartezimmer und warte. In mir nun die Gewissheit: Es wird schlecht ausgehen.
Der Radiologe kommt, er sieht gutgelaunt aus. Täusche ich mich? Nein. Noch unter der Tür zu seinem Sprechzimmer sagt er: „Super!“
Noch nie habe ich mich über dieses Wort so gefreut. Der Fleck ist kleiner geworden, „alles gut“, sagt der Arzt. Wieder bin ich erschlagen, diesmal vor Freude.
Befreit, erleichtert, renne ich nach Hause. Und lass jeden wissen, der mir nahesteht: Ich darf weiterleben!