HomeNachrichtNach Todesfahrt von Mannheim: Wie psychische Krankheiten und Gewalttaten zusammenhängen

Nach Todesfahrt von Mannheim: Wie psychische Krankheiten und Gewalttaten zusammenhängen

Bei dem Tatverdächtigen aus Mannheim soll es Hinweise auf eine psychische Erkrankung geben. Die Konstanzer Psychologin Maggie Schauer erklärt, wann sich solche Krankheiten in der Bevölkerung häufen – und was aus Sicht von Psychologen zu tun wäre.

Beim Tatverdächtigen der Todesfahrt von Mannheim soll es Hinweise auf psychische Vorerkrankungen geben, möglicherweise habe sich der Tatverdächtige in einem psychischen Ausnahmezustand befunden, so die Behörden. Die Konstanzer Psychologin Maggie Schauer erklärt, warum selten wirklich eine Gefahr von psychisch Erkrankten ausgeht.

Welche psychischen Krankheiten können Ursache dafür sein, wenn ein Mensch anderen Schaden zufügt?

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Wenn Messerattacken oder Angriffe mit Fahrzeugen erfolgen, ist ein Erklärungsreflex, dieses Verhalten auf eine psychische Störung zurückzuführen. Es ist aber unethisch, psychisch kranke Menschen als potenziell gewalttätig zu etikettieren. Psychisch Kranke sind meist gefährdet und nicht gefährlich. Umgekehrt wissen wir aber: Gewalt bringt Gewalt hervor. Etwa 30 Prozent der Männer, die in der Kindheit Gewalt erleben, werden selbst wieder gewalttätig.

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Woran erkennt man, wenn jemand psychisch erkrankt ist?

Menschen, die unter einer manifesten psychischen Erkrankung leiden, teilen trotz der Vielfalt der Symptome eine grundlegende Gemeinsamkeit: Sie sind sozial und beruflich funktionseingeschränkt. Wären sie dies nicht, würde keine psychische Erkrankung diagnostiziert werden. Das bedeutet, dass sie unter pathologischen Symptomen selbst leiden und oft das Umfeld Auswirkungen der Krankheit zu spüren bekommt, aber nicht unbedingt in Form von Gewalt.

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Welches Verhalten zeigt sich?

Psychische Störungen verändern die Wahrnehmung, das Denken und Handeln, und oft können die Erkrankten ihre Umwelt und ihre eigenen Gefühle nicht mehr gesund und adäquat interpretieren. Einige psychische Störungen führen zu ängstlicherem Verhalten, andere zu impulsiveren, enthemmteren oder sogar aggressiveren Reaktionen. Besonders bei Männern, die als Kinder schwere körperliche und emotionale Gewalt in ihrer Herkunftsfamilie erfahren haben – etwa durch Erniedrigung und Schläge – ist statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie aggressiv ausagieren, impulsiv handeln. Das ist aber bei weitem nicht immer der Fall.

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Welche psychischen Ursachen gewalttätigen Verhaltens gibt es noch?

Neben den traumabedingten Störungen gibt es schwere psychiatrische Erkrankungen, die nicht in direktem Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen stehen müssen. Dabei handelt es sich um Wahnvorstellungen mit gesteigertem Misstrauen gegenüber anderen, Verfolgung- oder Bedrohungserleben. Auch dabei kommt es zu einer veränderten Informations- und Gefühlsverarbeitung. Außerdem gibt es Störungen, die einhergehen mit mangelndem Verständnis für soziale Normen und Regeln sowie einer Neigung, anderen Schaden zuzufügen, ohne Schuldgefühle zu empfinden. Auch hier spielt ein gewalttätiges und vernachlässigendes Umfeld in der Kindheit eine Rolle und Modelle, die Gewalt vorleben. Neuere Forschung deutet auch darauf hin, dass bei psychopathologischer Auffälligkeit, bei Verbitterung und Hoffnungslosigkeit, die Gefahr der politischen Radikalisierung erhöht sein könnte.

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Erleben wir in diesen Zeiten eine Zunahme dieser Krankheiten und Störungen?

Eine Zunahme von psychischen Störungen beobachten wir immer dann, wenn es in einer Gesellschaft familiäre und organisierte Gewalt gibt – sei es durch gewalttätiges, impulsives Verhalten der Bezugspersonen, Gewalt auf der Straße, staatliche Gewalt oder Krieg. Je mehr Menschen mit diesen Formen von Gewalt konfrontiert sind, desto häufiger treten psychische Störungen auf, und desto größer ist die Zahl derjenigen, die die Auswirkungen dieser Erfahrungen zu spüren bekommen. Je mehr belastende Erfahrungen ich in meinem Lebensrucksack ansammele, insbesondere früh im Leben, desto wahrscheinlicher entstehen Bausteine für psychische Erkrankungen.

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Die wiederum dann auch Folgen für das Umfeld haben?

Die Auswirkungen betreffen immer auch die Familie, die Gesellschaft und zukünftige Generationen. Denn jedes aggressive Individuum in einer Gemeinschaft kann in diesem Sinne ansteckend wirken, ähnlich wie Bakterien oder Viren. Die Forschung weiß: Besonders aggressive Männer können auf diese Weise bei Frauen, Kindern und in der Gesellschaft eine Art Infektionskette für psychische Gefährdung auslösen.

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Hat das auch etwas mit falschen Vorstellungen von Männlichkeit zu tun?

Elternhaus, Kultur, Vorbilder und Religion regeln die Sozialisierung, also die gesellschaftliche Prägung unseres Rollenverhaltens. In vielen westlichen Gesellschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Fokus auf Geschlechtergleichheit durchgesetzt. Die Sozialisierung von Mädchen und Jungen erfolgt bei uns zunehmend gleichwertig. Es wird darauf geachtet, dass Kinder in einer offenen, gleichberechtigten Umgebung aufwachsen, in der sie ihre Geschlechtsidentität frei entwickeln können.

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In traditionellen Gesellschaften ist das aber anders?

Dort gibt es stark festgelegte Geschlechterrollen, die häufig von religiösen und kulturellen Überzeugungen geprägt sind. Mädchen und Jungen werden unterschiedlich erzogen, mit Erwartungen an ihr Verhalten. Bei Migration kann es über Generationen zur Kollision dieser Überzeugungen kommen. Vor allem aber fühlen sich Männer ohne guten Status in einer Gesellschaft oft erniedrigt und minderwertig. Manche versuchen über Aggression Status und Dominanz durchzusetzen. Einer der berühmtesten Gefängnispsychiater in Amerika sagt, dass Gefühle der Scham und Wut, die aus Erniedrigung entstehen, das am besten gehütete Geheimnis krimineller Männer ist.

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Brauchen wir eine bessere Betreuung von psychisch kranken Menschen?

Ja, absolut! Psychische Gesundheit ist kein Luxus, sondern eine essenzielle Grundlage für ein produktives und friedliches Zusammenleben. Wir fordern seit Langem, dass die Politik den Fokus stärker auf Mental Health legt. Insbesondere bei allen Menschen, die in Armut und Gewalt innerhalb unserer deutschen Gesellschaft aufwachsen, müssen wir davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil der Personen sowie deren Kinder unter den Folgen von Traumata leiden. Das gleiche gilt für Geflüchtete, die eine Vielzahl traumatischer Erfahrungen verarbeiten müssen. Somit besteht eine große Bandbreite von Interventionsbedarfen, die von Früherkennung und Vorsorge über Behandlung bis zu dauerhafter Versorgung reichen. Bislang wurde dem nur unzureichend Rechnung getragen.

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Viele psychisch erkrankte Menschen sind sich nicht bewusst, dass sie unter den Symptomen und Folgen einer psychischen Störung leiden. Deshalb müssen wir zunächst Strukturen schaffen, um psychische Erkrankungen und Traumafolgestörungen überhaupt frühzeitig zu erkennen. Das Sozial-, Gesundheits- und Integrationsministerium in Baden-Württemberg hat das erkannt und unterstützt uns Psychotraumatologen und Gewaltforscher und -forscherinnen bei der Umsetzung des Hilfsprogramms„BW schützt!”, das ausgeweitet werden soll. Ziel ist es, auf einfache und niederschwellige Weise Betroffene zu identifizieren und ihnen die passende Unterstützung anzubieten.

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Wie wird das konkret umgesetzt?

Neue Versorgungsgruppen müssen aufgebaut werden, aber es geht auch um bessere Vernetzung der bestehenden Akteure. Wir benötigen Schulungen für Menschen aus den verschiedenen sozialen Gruppen, aber auch für Migrantenpatinnen sowie für neue Fachkräfte aus Sozial- und Gesundheitsberufen. Wir befähigen diese zu Traumaerkennung und -beratung und zur Hilfe bei der biografischen Aufarbeitung schwerer Erlebnisse – wir nennen diese Methode Narrative Traumaarbeit NAT – für alle in unserem Land lebenden Menschen zu gewährleisten. Schwerwiegendere Fälle sollen dann in eine gezielte weiterführende psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung und in leitliniengerechte traumafokussierte Psychotherapie überführt werden.

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Welche Personengruppe haben Sie besonders im Fokus?

Unsere dringlichsten Zielgruppen sind Schwangere und Kinder, die körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt sowie Vernachlässigung erfahren, aber auch Eltern und vor allem Männer die Gewalt ausüben, weil sich deren Verhalten toxisch auf die Umgebung auswirkt. Diese Programme sind von höchster Dringlichkeit, da die Gewaltspirale durch diese Ansteckungsdynamik immer weiter angeheizt wird.

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Weitere Infos

Werdegang
Dr. Maggie Schauer gilt als eine der führenden Expertinnen in Deutschland für Traumabehandlung und lehrt als Privatdozentin für Klinische Psychologie an der Universität Konstanz. Viele Jahre lang leitete sie das Kompetenzzentrum„Psychotraumatologie”, das am Zentrum für Psychiatrie Reichenau angesiedelt ist. Zusammen mit ihren Kollegen Thomas Elbert und Frank Neuner hat sie die Narrative Expositionstherapie NET entwickelt. Sie forscht und arbeitet weltweit.

Buchst
Maggie Schauer hat über ihre Erkenntnisse aus der Traumabehandlung ein Buch geschrieben. Maggie Schauer: Die einfachste Psychotherapie der Welt – wie wir die Ursache von Stress und Krankheit behandeln und den Kreislauf von Trauma und Gewalt durchbrechen, Rowohlt, 320 Seiten, 18 Euro.

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