Volkswagen steckt tief in der Tinte. Die Elektro-Modelle sind zu teuer, der Absatz schwächelt. Vieles ist hausgemacht an der Krise des größten deutschen Unternehmens. Und manches ist vielleicht auf mangelnde Qualität nicht der technischen, sondern der menschlichen Komponenten zurückzuführen.
Da ist zum Beispiel der 20köpfige Aufsichtsrat. Zwei Mitglieder sind dort von entscheidender Bedeutung, weil gegen ihr Veto nichts geht. Es sind die Abgesandten aus der niedersächsischen Landesregierung, die dank VW-Gesetz – einem von der EU immer wieder beklagten Anachronismus aus den 1950er Jahren – ihre Plätze in dem Kontrollgremium sicher haben, ganz gleich wie viele Anteile das Land auch besitzt. Die Aktien, die das Land hält, haben damit Goldstandard, ihre Besitzer können nicht überstimmt werden. Auf die beiden niedersächsischen Funktionsträger kommt es also an, wenn Entscheidungen bei VW getroffen werden.
Keine Auto-Enthusiastin, lieber mit dem Rad unterwegs
Der eine von ihnen ist der SPD-Ministerpräsident des Landes Stephan Weil, ein studierter Jurist, dem als Landeschef Managementaufgaben nicht ganz fremd sind. Die andere ist Julia Willie Hamburg, 38jährige grüne Kultusministerin des Landes, ehemalige Fraktionsvorsitzende mit Abitur und abgebrochenem Studium der Politikwissenschaft, Philosophie und Philologie. Die grüne Landespolitikerin ist alles andere als eine Auto-Enthusiastin. Nach eigenem Bekunden besitzt die Hannoveranerin keinen eigenen Wagen und ist lieber mit dem Fahrrad unterwegs.
Schon im Wahlkampf hatte sie deutlich gemacht, was sie als VW-Aufsichtsrätin in Wolfsburg anders machen würde. „Wir Grünen wollen uns dafür einsetzen, dass VW sich stärker als Mobilitätsdienstleister versteht und nicht nur auf den Individualverkehr setzt.“ Volkswagen solle zudem noch stärker auf die Elektromobilität setzen.
„Niedersachen“– dringend einen kleinen Fehler ausmerzen
Während sie das damals munter angeregt hatte, musste sie im Wahlkampf 2022 gleichzeitig an anderer Stelle dringend einen kleinen Fehler ausmerzen. Hundertfach hatten ihre Anhänger Plakate ihrer Kandidatin im Wahlkreis Hannover aufgehängt, auf denen stand, dass sie „für Niedersachen“ antrete. Das „s“ aus dem Namen war verschwunden und keiner hatte es gemerkt, bis die Dinger schließlich hingen. Bei VW hat lange auch keiner gemerkt, dass es mit vermurkster Software, klobigen Design und Mondpreisen nichts werde mit der E-Mobilität.
Als Julia Willie Hamburg dann mit einem beachtlichen Ergebnis gewählt war und auch die Koalitionsverhandlungen erfolgreich überstand, machte Weil sie zu seiner Stellvertreterin und nahm sie mit in den VW-Aufsichtsrat, von dem wahrscheinlich kein Teilnehmer dementieren wird, wenn wir ihn an dieser Stelle eine Schlangengrube nennen: Vier Vorstandschefs in sieben Jahren zeugen jedenfalls von Handlungsfreudigkeit dieses Gremiums.
Dorthin zog es die grüne Politikerin, die schon einmal mit 27 als jüngste Abgeordnete in den Landtag gerückt war. Autobau und Wirtschaft sind nicht ihre Kernkompetenz. In Reden hat sie sich in jüngster Zeit mehr zur „Abschottungspolitik“ der EU gegen Migranten geäußert und sie kritisiert. Sie hat sich „für gute Einwanderungsstrukturen“ ausgesprochen, will eine „demokratische Schulstruktur“ einführen und „Freiräume für innovative und zukunftsorientierte Schulentwicklung“ schaffen. All das ist ihr Job. Volkswagen aber eben auch – nur hat sie sich über Wirtschaft und das, was ihr da vorschwebt, in den vergangenen Monaten nicht ausgelassen.
Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hatte mit Klage gedroht
Einige hatten das bei ihrer Wahl in den Aufsichtsrat vorhergesehen. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hatte sogar mit einer Klage gedroht, wollte die Abberufung von Julia Willie Hamburg aus dem VW-Aufsichtsrat gerichtlich durchsetzen lassen. Die Aktionärsschützer argumentierten vor zwei Jahren damit, dass die grüne Politikerin nicht die erforderlichen beruflichen Qualifikationen für den Kontrollposten besitze. Am Ende hatten die Aktionärsschützer aber nur gebrüllt und nicht gebissen. Von einer Klage ließen sie jedenfalls ab.
Vielleicht hätten sie das Schlimmste verhindern sollen. VW hat inzwischen die Tarifverträge gekündigt, in denen unter anderem die seit drei Jahrzehnten geltende Beschäftigungssicherung geregelt ist. Finanzvorstand Arno Antlitz hat nachgerechnet und spricht davon, dass auf dem europäischen Automarkt jährlich zwei Millionen Fahrzeuge weniger verkauft werden als vor der Pandemie – ein Viertel davon bei VW. Analysten gehen davon aus, dass deshalb zwei bis drei Werke geschlossen werden müssen. Die meisten davon in Niedersachsen – mit „s“ übrigens.
Das Original zu diesem Beitrag “Niedersachsens goldene Aktie wird für VW zur Gefahr, weil die Kompetenz fehlt” stammt von Business Punk.