Berlin. Die Ampel-Koalition ist an Forderungen aus der FPD gescheitert. Schon einmal ließ die Partei die Bundesregierung platzen. Ein Rückblick.
Die Ampel-Koalition ist Geschichte: Nachdem Christian Lindner in der vergangenen Woche Forderungen aufgestellt hatte, die mit den Koalitionspartnern von SPD und Grünen nicht erfüllbar schienen, ist der Streit in der Bundesregierung eskaliert. Die Folge: Bundeskanzler Olaf Scholz hat den FDP-Chef als Finanzminister entlassen. Zuletzt war Scholz ein Getriebener seines Koalitionspartners. Das verbindet ihn mit einem anderen sozialdemokratischen Kanzler, den er durchaus als Vorbild sieht: Helmut Schmidt.
Der führte 1982 eine Bundesrepublik, die in eine ähnliche Wirtschaftskrise geraten war, wie sie heute das vereinigte Deutschland umtreibt. Explodierende Ölpreise hatten zu einer weltweiten Rezession geführt, die in Deutschland massenhafte Firmenpleiten, steigende Arbeitslosigkeit und ein erhebliches Haushaltsdefizit auslöste. Der Koalitionspartner FDP vor allem in Person ihres Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff mahnte einen Kurswechsel in der Sozialpolitik an, darunter die Kürzung des Arbeitslosengeldes und die Begrenzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, was die SPD strikt ablehnte.
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Die öffentlichen Debatten zermürbten das Koalitionsklima. Gut ein Jahr nach einem eindrucksvollen Wahlsieg (Union 44,5 Prozent, SPD 42,9 Prozent, FDP 10,6 Prozent) sah sich Schmidt im Februar genötigt, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um die Handlungsfähigkeit der sozialliberalen Koalition zu beweisen. Das gelang, die Fraktionen von SPD und FDP stellten sich geschlossen hinter den Kanzler. Doch was ein Beleg seiner Stärke sein sollte, war in Wirklichkeit ein Zeichen der Schwäche.
FDP contra SPD: Koalitionsstreit in einem krisengeschüttelten Land
Neben den wirtschaftlichen Problemen erregten auch andere Debatten das Land. Die Unzufriedenheit vieler Bürger mit dem Regierungskurs zeigte sich in Massendemonstrationen gegen die Nachrüstung und den Bau von Atomkraftwerken ebenso wie in einer vom DGB organisierten Protestkundgebung von 70.000 Gewerkschaftern gegen Sparpolitik und soziale Demontage. Im Schatten dieser Protestbewegung entstand eine neue Partei: Die Grünen errangen erste Wahlerfolge vor allem auf Kosten der SPD und begannen, das über Jahrzehnte stabile Dreiparteien-System zu unterwandern.
Schmidt bekam ähnliche Kritik zu hören, wie sie heute an Scholz geübt wird: Er konzentriere sich zu sehr auf Krisenmanagement, statt in Zeiten des Wandels über Grundwerte und Sinnfragen nachzudenken; der „Macher“ versage bei der Aufgabe, dem Land auch eine geistige Führung zu geben. Dennoch, und das ist ein entscheidender Unterschied zu heute, blieb Helmut Schmidt der weitaus beliebteste Politiker der Republik.
Lambsdorff und seine marktradikalen Gefährten in der FDP setzten indes ihre Kampagne gegen die Sozialpolitik der eigenen Regierung fort, bis Schmidt ihn aufforderte, seine Alternativvorschläge schriftlich zu fixieren. Am 9. September präsentierte Lambsdorff sein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“. Die im Frühjahr dieses Jahres von der FDP-Führung um Christian Lindner vorgelegten „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ klingen in zentralen Punkten ganz ähnlich. Jetzt hat Lindner mit einem 18-seitiges Papier nachgelegt.
Schmidt erkannte in Lambsdorffs nun schwarz auf weiß vorliegendem Konzept ein „Scheidungspapier“. Jetzt ging es in Bonn ganz ähnlich wie heute im Berliner Regierungsviertel um die richtige Taktik: Wer würde den letzten Schritt zum Bruch des seit 13 Jahren regierenden Bündnisses vollziehen? Schmidt war entschlossen, seine vier FDP-Minister zu entlassen, um zu zeigen, dass er das Heft des Handelns in der Hand habe. Allerdings informierte er aus alter Verbundenheit seinen Vizekanzler, Außenminister Hans-Dietrich Genscher, von seinem Plan. Der hatte nichts Eiligeres zu tun, als für den sofortigen Rücktritt der FDP-Ministerriege zu sorgen, sodass sie dem Kanzler am 17. September um eine halbe Stunde zuvorkamen, sehr zu dessen Ärger.
Koalitionsbruch: Bei der nächsten Wahl kassierte die FDP die bittere Quittung
Allerdings zeigte sich, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nun die Liberalen als Verräter dastanden, die einem trotz allem doch angesehenen Bundeskanzler den Garaus machten. Außerdem gab es in der FDP erheblichen Widerstand gegen den neuen Kurs. Sie verlor innerhalb weniger Wochen 20 000 Mitglieder und einige prominente Politiker wie die populäre Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier und ihren vormaligen Generalsekretär Günter Verheugen, die sich der SPD anschlossen. Schon zehn Tage später stellten die Wähler der FDP bei der Landtagswahl in Hessen die Quittung aus: Mit einem auf 3,5 Prozent fast halbierten Ergebnis verfehlte sie den Wiedereinzug in das Parlament und die erhoffte Koalition mit der CDU.
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Während die SPD auf eine schnelle Neuwahl im Bund hoffte, bei der sie sich mit Helmut Schmidt als amtierendem Kanzler gute Chancen ausrechnete, wählten CDU/CSU und FDP den Weg über ein konstruktives Misstrauensvotum. Die Liberalen wechselten einfach den Koalitionspartner und wählten den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl zum Kanzler. Zum ersten und bis jetzt einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gab es einen Regierungswechsel ohne Neuwahl. Dieser Weg steht den heutigen Bundestagsparteien nicht zur Verfügung: CDU/CSU und FDP haben gemeinsam keine Kanzlermehrheit.