Ein bisschen Stress gehört für viele zum Alltag, kann sogar beflügeln – doch zu viel davon lähmt und macht krank. Neurologe Mimoun Azizi erklärt, was bei Stress im Körper passiert, wie man zwischen gutem und schlechtem Stress unterscheidet, und was wir tun können, um uns vor Dauerstress zu schützen.
Was ist Stress?
Stress ist ein subjektives Gefühl. Die Betroffenen empfinden dabei Druck und sind angespannt. Man unterscheidet zwischen Stressoren und Stressreaktionen. Stressoren sind Reize, die Stressreaktionen verursachen. Eine Stressreaktion ist das Resultat solcher Stressoren.
Über den Neurologen Mimoun Azizi
Der Facharzt für Neurologie Dr. med. Mimoun Azizi, M.A., ist seit 1. April 2025 geschäftsführender Chefarzt und Leiter des Zentrums für Geriatrie und Neurogeriatrie im Klinikverbund Südwest (KVSW). Darüber hinaus ist er Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und besitzt u.a. Zusatzqualifikationen in der Notfallmedizin, Geriatrie und Palliativmedizin. Der Autor verschiedener Fachbücher und -artikel besitzt zudem einen Magister der Politikwissenschaften und Soziologie sowie einen Master der Philosophie.
Was passiert bei Stress im Körper?
Stressreaktionen äußern sich unterschiedlich. Die Dauer und die Intensität einer Stressreaktion ist individuell. Im Rahmen einer Stressreaktion schüttet der Körper vermehrt Adrenalin und Cortisol aus, man wird aufmerksamer und körperlich leistungsfähiger.
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Der Umgang mit Stressoren ist auch individuell. Bei dem einen führen sie zu einer Stressreaktion, aber bei dem anderen eher nicht. Das hängt mit der jeweiligen kognitiven Verarbeitung und Bewertung der Stressoren zusammen.
Stressoren sind nicht per se negativ oder ungesund. Sie können den Menschen vor Gefahren bewahren und zu körperlichen und geistigen Höchstleistungen führen. Blutdruck, Herzfrequenz und die Durchblutung der Muskeln steigen. Dadurch werden viele Ressourcen im Körper, zum Beispiel Fettsäuren und Glukose, verbraucht. Der menschliche Körper besitzt die Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren.
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Was ist guter, was schlechter Stress?
Wir unterscheiden zwischen Eustress – also positivem Stress – und Distress – also negativem Stress. Eustress wirkt leistungssteigernd, Distress hingegen führt zu Über- bzw. Unterforderung und wird vom Menschen als negativ empfunden. Das bedeutet, dass die gleichen Stressoren sowohl zu Eustress als auch zu Distress führen können.
Sehr intensive Stimulationen können zu Überforderung, sehr schwache zu Unterforderung führen – beides kann Distress auslösen. Eine mittlere bzw. optimale Stressreaktionen kann zu Eustress und folglich zur Leistungssteigerung führen.
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Was sind die Folgen von Dauerstress?
In der heutigen Zeit geht der Mensch nicht mehr auf die Jagd, um sich zu ernähren. Auch muss er nicht gegen wilde Tiere kämpfen, daher hat sich der Begriff Stress verschoben zugunsten des Arbeitsstresses. Häufig kommt es am Arbeitsplatz zu Überforderungen und zu einer fehlenden Regenerationsphase.
Walter Cannon prägte den Begriff der Homöostase. Der Körper eines gesunden Menschen kann sich trotz Stress selbst regulieren und somit eine Homöostase – also ein Gleichgewicht – herstellen. Eine Störung der Homöostase führt zu Aktivierung des vegetativen Nervensystems, hier insbesondere des Sympathikus – das ist der Teil des vegetativen Nervensystems, der die Aktivität steigert.
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Die Aktivierung des Sympathikus führt zu einer vermehrten Ausschüttung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark. Die Nebennierenrinde setzt daraufhin das Stresshormon Cortisol frei, das den Stoffwechsel des Köpers aktiviert und durch die Verarbeitung von Fetten und Zucker die Energiezufuhr steigert. Dabei werden in dem Moment die „nicht relevanten“ Fähigkeiten wie die Verdauungs- und Sexualfunktion gehemmt.
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Cortisol bewirkt wiederum auch die weitere Freisetzung von ACTH. ACTH in erhöhter Konzentration hemmt Freisetzung von Cortisol und sorgt somit dafür, dass die Stressreaktion im menschlichen Körper beendet wird. Nun kann sich der Körper regenerieren. Passiert das jedoch nicht, führt das zu Dauerstress.
Diese langanhaltenden und intensive Stressreaktionen, einhergehend mit einer inadäquaten Verarbeitung, können psychische und körperliche Erkrankungen hervorrufen. Dazu gehören unter anderem Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Schmerzsyndrome oder Magenbeschwerden. Sehr starke Stressreaktionen, wie bei Verkehrsunfällen oder dem Tod von nahestehenden Personen, können zu Traumata somit zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen.
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Wie verhindert man Dauerstress? Wie behandelt man ihn?
Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Bewertung der Stresssituation. Wie nimmt der Betroffene die Situation wahr? Wie wird sie kognitiv eingeschätzt und verarbeitet? Abhängig davon können mehr oder weniger Stresshormone freigesetzt werden. Wenn die Stressoren als Herausforderungen angesehen werden, dann werden andere Bewältigungsmechanismen angewandt, als wenn die Stressoren als Hindernis gesehen würden.
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Zudem verfügen Individuen über verschiedene und unterschiedliche Ressourcen, um den Stressoren entgegenzutreten. Selbstbewusstsein, ein sicherer Arbeitsplatz und Wissen sind Ressourcen, die helfen können.
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Hilfreich gegen Stressfaktoren können auch intakte soziale Strukturen sein. Trösten, Zuhören oder Gut-Zureden, aber auch das Stärken des Selbstbewusstseins und Selbstbildes des Betroffenen können sehr hilfreich sein. Im Ernstfall können professionelle Beratungsstellen hinzugezogen werden – sowohl zur Behandlung als auch zur Prävention.
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Auch das Zugehörigkeitsgefühl ist eine Ressource. Fehlende soziale Unterstützung kann die Symptome solcher Stressoren sogar verstärken oder Überforderung am Arbeitsplatz bzw. Benachteiligung am Arbeitsplatz. Andrerseits kann Arbeitslosigkeit selbst ein Stressfaktor sein. Ein gutes Arbeitsklima mit Wertschätzung und einer guten Führungsstruktur sind enorm wichtig.
Zur individuellen Stressbewältigung existieren verschieden Copingstrategien. Hier kann problem- oder emotionsorientiert gehandelt werden bzw. therapiert werden. Dabei können Erfahrungen, Familie, Freunde, Wissen, soziale Unterstützung, Spiritualität, kulturelle Einflüsse, sportliche Aktivitäten, Achtsamkeit, Entspannungsverfahren hilfreich sein und die Resilienz zusätzlich stärken.
Zudem stehen psychotherapeutische Verfahren zur Verfügung wie Verhaltenstherapie, psychosomatische rehabilitationsmaßnahmen und abhängig von der Symptomatik auch medikamentöse Therapien zur Verfügung.
Entscheidend ist, dass die Situation rasch erkannt und behandelt wird. Je länger man eine Therapie jedweder Art hinauszögert, desto eher entstehen auch chronische Erkrankungen. Es gilt auf sich selbst zu achten, aber auch auf andere Mitmenschen.
Dieser Content stammt aus unserem EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion.