Mancherorts warten Menschen ewig auf eine Umgehungsstraße, anderswo wird eine Brücke ins Nichts gebaut. Fehlt es also wirklich am Geld – oder eher am Überblick bei den Behörden?
Es herrscht Dauer-Verkehr auf der Radolfzeller Straße in Stockach (Kreis Konstanz). Tag und Nacht ein Grundrauschen. Hier kommen drei Bundesstraßen zusammen. Und alle drei versammeln sich in dieser einen Straße, die auch zur Autobahn führt. Helmut Lempp hat fast sein ganzes Leben an dieser Straße gelebt. Doch nach 67 Jahren hat er es endlich geschafft – er konnte wegziehen, weg von Lärm und Abgasen. Denn eine Entlastung in Form einer Umgehungsstraße wird so schnell nicht kommen: “Wir sind ja noch nicht mal im Planfeststellungsverfahren”, sagt er.
Dabei ist die “Westumfahrung Stockach” seit 2016 im Bundesverkehrswegeplan 2030 verankert und als “vordringlicher Bedarf” eingestuft. Das Geld dafür liegt bereit, doch keiner kommt, um es zu verbauen. Die Anwohnerinnen und Anwohner warten und hoffen. Bei der letzten Verkehrszählung im Jahr 2017 wurden über 21.000 Autos gezählt und zusätzlich über 2.000 Lkw – und das an einem Tag. Unter der Woche sind es die Pendler und der Lieferverkehr, am Wochenende die Ausflügler Richtung Bodensee. Hier kommt alles durch. Helmut Lempp sorgt sich um die ehemaligen Nachbarn, die noch immer in der Radolfzeller Straße wohnen: “Irgendwann geht das auf die Gesundheit.”
Zu wenig Personal in den Behörden, Projekte bleiben liegen
Auch Bürgermeisterin Susen Katter (parteilos) merkt man die Ungeduld an: “Ich bin seit einem Jahr im Amt und seit einem Jahr ist absoluter Stillstand.” Wie auch in den Jahren davor. Die Gemeinde Stockach wartet schon seit 2018 darauf, dass hier etwas passiert. Doch es passiert nichts. Für die Bürgermeisterin ist der Grund klar – es liegt am Personalmangel im Regierungspräsidium Freiburg: “Die Ressource Mensch gibt es halt auch noch zu beachten: Wenn ich kein Personal habe, dann wird auch nichts umgesetzt.” Und das sei die Realität auf den Ämtern. Alle neuen Bauprojekte, vor allem die Straßenbauprojekte, blieben einfach liegen, weil kein Personal da sei. Und das würde sich auch mit Geld nicht ändern. Das Sondervermögen für die Infrastruktur sieht sie deshalb kritisch: Die vielen Milliarden würden Hoffnungen wecken, die am Ende wieder enttäuscht würden.
Besserung ist nicht in Sicht. Das Regierungspräsidium Freiburg bestätigt, dass die Verzögerungen nicht nur an aufwändigen, artenschutzrechtlichen Gutachten liegen, sondern dass es schlicht zu wenig Personal habe, um die Projekte abzuarbeiten.
Geld für Infrastrukturprojekte ist da, aber gebaut wird nicht
Die stockende Stockacher Westumfahrung ist kein Einzelfall: Im vergangenen Jahr wurden laut Bundesfinanzministerium in Deutschland von 71 Milliarden Euro für Investitionszwecke nur 57 Milliarden abgerufen, 14 Milliarden blieben übrig. In den Jahren zuvor sah es ähnlich aus.
Auch das Land Baden-Württemberg schiebt nach einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zehn Milliarden Euro vor sich her – genehmigte Mittel für Projekte, die im Planungsstadium feststecken, weil in den Ämtern die Mitarbeiter fehlen.
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Diskussion um “Westumfahrung Stockach” geht wieder los
Während die einen also vor sich hin planen, nutzen andere die Zeit, um nochmal nachzurechnen. Bringt die Westumfahrung wirklich die erhoffte Entlastung? Zweifel haben sich breit gemacht – vor allem in einer Gruppe, die in Stockach einen “Runden Tisch” zum Thema Mobilität betreibt. Bei der letzten Diskussion im Umweltzentrum wurde ganz grundsätzlich die Frage laut, ob die Kosten einer Ortsumfahrung den Nutzen tatsächlich rechtfertigen würden. Die Jahre des Wartens bergen also noch eine weitere Gefahr: Dass die Bürgerschaft in Stockach am Ende nicht mehr einig ist, ob die Straße überhaupt gebaut werden sollte.
Auch hier ist Stockach ein Beispiel unter vielen. Für den Bund der Steuerzahler wird hier ein generelles Problem deutlich: “Wenn es nicht gelingt, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen”, so Eike Möller vom Landesverband Baden-Württemberg, “dann muss man befürchten, dass das Geld vor allem in der Verwaltung versickert, aber nicht in der Infrastruktur selbst ankommt.” Das Geld würde dann für Gutachten, Rechtsstreitigkeiten und die Verwaltung benötigt, aber es münde letztlich “nicht in mehr Kilometer Leitung, mehr Kilometer Gleis, mehr Kilometer Straße”. Und das sei ein Problem.
Löst die neue Koalition aus Union und SPD nun das Problem?
Die deutsche Wirtschaft braucht funktionierende Transportwege. Wie sonst soll sie in der derzeitigen Krise den Wohlstand des Landes weiterhin erwirtschaften? Der Kampf gegen die Bürokratie ist auch eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens. Klappen soll das mit einem neuen Gesetz, das die künftige schwarz-rote Bundesregierung bereits angekündigt hat – mit einem sogenannten “Infrastruktur-Zukunftsgesetz”. Und obendrein mit einem eigenen Ministerium für Staatsmodernisierung. Was bedeutet das für die 500 Milliarden Investitionsgelder?
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“Das ist das Leichteste, Schulden zu machen, Sondervermögen zu bilden”, kommentiert Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen im Land, die Pläne in der Sendung “Zur Sache! Baden-Württemberg”. Die eigentliche Herausforderung beginne erst jetzt, so Schwarz – nämlich die Gelder effizient ins System zu bringen.
Für den Herrenberger (Kreis Böblingen) Oberbürgermeister Nico Reith (parteilos) heißt das vor allem, dass noch mehr Geld in den Kommunen ankommen muss. Er beklagt in der Sendung eine “kommunale Mangelverwaltung”. Dazu die Bürokratie, die sei “in unserem Land eine Katastrophe”. Bis in seiner Stadt neue Wohn- oder Gewerbegebiete entwickelt werden könnten, vergingen oft Jahre: “Gefühlt habe ich da den Eindruck, dass jede Eidechse am Ende wichtiger ist.”
Unternehmerin Isabel Grupp-Kofler aus Trochtelfingen (Kreis Reutlingen) auf der Schwäbischen Alb mahnt derweil einen verantwortungsvollen Umgang des Staates mit den finanziellen Mitteln an, die sich nun auch aus dem künftigen Sondervermögen ergeben: “Das ist Geld von allen arbeitenden Menschen in Deutschland, das wurde dem Staat überlassen, um verantwortungsvoll zu investieren.” Derzeit sehe sie noch “kein verantwortungsvolles Investment.” Wenn Steuergelder durch Fehlplanungen verschwendet werden, zum Beispiel.
Wenn Geld in Fehlplanungen versickert – die Brücke in Gottenheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) wartet seit 15 Jahren auf ihre Bestimmung.
SWR
Die Brücke, über die seit fünfzehn Jahren kein Auto fährt
Denn manchmal sind die Planer tatsächlich auch zu schnell, vorschnell geradezu. Und dann kommt eine Brücke heraus, die gebaut wird, noch bevor die Planung für die dazugehörige Straße abgeschlossen wurde. So geschehen in Gottenheim im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. Seit bald 15 Jahren steht dort eine Brücke in der Landschaft, über die noch nie ein Auto fuhr. Kosten: über eine Million Euro. Ursprünglich sollte sie die Bundesstraße B31 West von Freiburg nach Gottenheim aufnehmen und weiter bis nach Breisach führen. Doch jetzt steht sie einfach “so da”. Ihr halb-offizieller Name: die “So-da-Brücke”. Die Gottenheimer quittieren es mit Kopfschütteln: “Die verschwenden unsere Steuergelder”, heißt es auf der Dorfstraße. “Jedes Management, das so arbeitet”, kritisiert eine Bürgerin, die in der Industrie ihr Geld verdient, “würde entlassen werden.”
Andere Gottenheimer aber sehen auch die Nachbargemeinden in der Verantwortung: “Keiner möchte die Straße bei sich haben.” Es gab Diskussionen über mögliche Streckenführungen, Baustopp, und wieder Diskussionen. Doch solange sie sich hier nicht einig sind, arbeitet das Regierungspräsidium mit seinem kleinen Team erstmal die dringenden Fälle ab. Gottenheim gehört noch lange nicht dazu.