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Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung des Nervensystems. Sie entwickelt sich schleichend und wird oft erst spät entdeckt. Inzwischen aber gibt es enorme Fortschritte bei der Diagnose und Therapie.
Erst zwei Wochen ist die Operation her, als sich Marianne Wenzel mit unserer Redaktion in Großhadern zum Interview trifft. Sie strahlt. Sie kann wieder gehen und die Zuckungen und Krämpfe ihres rechten Beins kontrollieren. Die Floristin aus Schwabmünchen ist eine der 50 Patienten, die sich im LMU-Klinikum pro Jahr einen sogenannten Gehirnschrittmacher implantieren lassen. „Die Tiefe Hirnstimulation kann bei vielen Patienten die Lebensqualität für zwei Jahrzehnte oder länger enorm steigern“, sagt Prof. Günter Höglinger, Direktor der Neurologischen Klinik des LMU-Klinikums. Ein Hirnschrittmacher komme für sehr viele der rund 400 000 Parkinson-Patienten in Deutschland infrage, insbesondere dann, wenn die Medikamente die Beschwerden nicht mehr durchgehend bessern können. Doch nur ein geringer Teil der Erkrankten entscheide sich für die Tiefe Hirnstimulation, bedauert der Neurologe. Denn irgendwann reichen Medikamente gegen die Symptome nicht mehr aus. Die Kosten für einen Hirnschrittmacher übernehmen auch die gesetzlichen Krankenkassen.
Marianne Wenzel ist froh, dass sie sich getraut hat, sich den Hirnschrittmacher einsetzen zu lassen: „Ich merke schon jetzt große Fortschritte.“ Von Beruf war die 53-jährige Floristin. Besonders liebte sie es, schöne Sträuße zu binden. Doch 2014 fiel es ihr immer schwerer. „Meine Hände zitterten und ich hatte kaum mehr genug Kraft, den Strauß zu halten“, erzählt sie. Zudem fühlten sich ihre Hände immer öfters so an, als wären sie eingeschlafen. „Es war zwei Jahre lang ein Auf und Ab“, erzählt sie. Mal ging es ihr besser, dann wurden die Beschwerden wieder stärken. Nachts konnte sie oft kaum schlafen, weil ihre Beine so unruhig waren. Der Hausarzt diagnostizierte das sogenannte Restless-Legs-Syndrom. „Ich hoffte, dass diese Probleme wieder vergehen“, erzählt die Schwabmünchnerin. Ein Neurologe verschrieb ihr Dopamin-Tabletten. 2016 riet er ihr, zur genauen Diagnose der Ursache ihrer Beschwerden eine Magnetresonanz-Tomografie-Untersuchung (MRT) machen zu lassen. Bei der begleitenden neurologischen Untersuchung wurde Parkinson festgestellt.

Sie bekam Medikamente. Dennoch verschlimmerten sich die Symptome. Auto fahren und Rad fahren konnte sie nicht mehr und auch das Laufen wurde schwierig. „Mein Mann musste mich zeitweilig tragen und auch alleine aus dem Bett aufstehen ging nicht mehr. Morgens war ich steif wie ein Brett“, erzählt die 53-Jährige. Auch das Sprechen fiel ihr zunehmend schwerer.
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Zwei Löcher werden in die Schädeldecke gebohrt und die Elektroden tief im Kopf implantiert
So entschied sich Marianne Wenzel für einen Gehirnschrittmacher. Für diesen setzte der LMU-Neurochirurg PD Dr. Jan Mehrkens zwei Elektroden dauerhaft in ihrem Gehirn ein. Die implantierten Elektroden stimulieren dort bestimmte Bereiche. Dies ermöglicht es, Bewegungsstörungen zu behandeln. In einer ersten OP am 10. April wurden Marianne Wenzel zwei kleine Löcher rechts und links in die Schädeldecke gebohrt und tief im Kopf zwei Elektroden implantiert. Die 53-Jährige war zwar während der Operation wach, spürte aber keine Schmerzen oder Angst dank Schmerz- und Beruhigungsmitteln. Durch die hochauflösende MRT-Bildgebung können die Neurologen am LMU-Klinikum diese OP inzwischen aber auch unter Vollnarkose durchführen.
In den Wochen nach der OP wird der Hirnschrittmacher eingestellt. „Es klappt. Ich wackle nicht mehr mit dem rechten Bein und habe auch keine schlimmen und schmerzhaften Krämpfe im rechten Fuß mehr“, freute sich Marianne Wenzel. Sie sei sehr zuversichtlich, ihre motorischen Schwierigkeiten so bald völlig im Griff zu haben. „Hier ist noch etwas Feinschliff nötig“, erklärt Neurologe Köglsperger. An einem spezialisierten Smartphone kann er die Impulsstärke so einstellen, dass die Patientin aktiv genug, aber nicht überaktiv ist. Den Hirnschrittmacher einstellen kann er auch in der virtuellen Sprechstunde – also einer Telemedizin-Sprechstunde, bei der sich Patient und Arzt an einem Bildschirm sehen und die Patienten nicht extra in die Klinik müssen.

Große Fortschritte bei der Behandlung verbessern Lebensqualität der Kranken erheblich
Nach Jahrzehnten der Parkinson-Forschung gibt es nun endlich große Fortschritte – bei den Medikamenten und der Technik, die den Patienten hilft. „Zwar bleibt Parkinson eine ernste und unheilbare Krankheit“, sagt Chef-Neurologe Höglinger und führt weiter aus, „doch sie führt in vielen Fällen nicht mehr zu einer Einschränkung der Lebenserwartung, und wenn motivierte Patienten eng mit erfahrenen Ärzten zusammenarbeiten, gelingt es sogar, die Lebensqualität zu erhalten.“ Auch die Früherkennung wird immer besser. Welche Beschwerden frühe Alarmzeichen sein können, lesen Sie rechts.
Tiefe Hirnstimulation: So helfen die Elektroden
Bei der Tiefen Hirnstimulation (THS) werden Elektroden tief in das Gehirn implantiert. Sie stimulieren dort bestimmte Bereiche und ermöglichen es so, beispielsweise Bewegungsstörungen beim Patienten zu behandeln. Aktiviert werden sie durch eine Batterie, die nahe dem Schlüsselbein platziert wird. Im LMU-Klinikum werden pro Jahr rund 50 Hirnschrittmacher eingesetzt. Rund 500 THS-Patienten befinden sich bei den LMU-Neurologen in der Nachsorge. In den Wochen nach der OP wird die Taktung der Stimulation so eingestellt, dass sie dem Patienten am besten hilft, seine Symptome zu kontrollieren. Zum Hintergrund: Die linke Seite des Gehirns steuert die rechte Körperhälfte.
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unserer Redaktion nicht beantwortet werden.