Der Lungenfacharzt Claus Vogelmeier über den Gewinn einer gut geführten elektronischen Patientenakteund die Gefahren, die im Verbergen und Löschen von Dokumenten stecken.
Hat die elektronische Patientenakte (ePA) das Potenzial des Gamechangers für die medizinische Versorgung?
Prof. Claus Vogelmeier: Die ePA ist unabdingbar, vor allem in einer alternden Gesellschaft, in der immer mehr Menschen an chronischen Erkrankungen leiden. Nehmen wir ein Beispiel aus meinem Alltag. Auf unsere Station kommt ein COPD-Patient mit Luftnot. Ich will nun wissen: Was ist bereits an Diagnostik gelaufen? Welche Befunde liegen vor? Welche Therapien sind versucht worden mit welchem Effekt? Und – da Atemnot viele Ursachen haben kann – ist der Patient bereits kardiologisch untersucht? Bisher puzzeln wir uns diese wichtigen Informationen häufig aufwendig zusammen. Die Betroffenen können oft nicht zuverlässig Auskunft geben. Eine gut geführte ePA schon. Sie erspart dem Patienten Untersuchungen, die bereits gelaufen sind, und führt rascher zu einer zielgerichteten Therapie.
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Prof. Claus Vogelmeier, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde und Leiter der Kommission „Digitale Transformation in der Inneren Medizin“ bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
Patientinnen und Patienten können Ärzten Zugriffsberechtigungen entziehen und Dokumente verbergen oder löschen. Birgt das Risiken?
Persönlichkeitsrechte sind ein hohes Gut, deshalb ist diese Funktion notwendig. Aus rein medizinischer Sicht wünsche ich mir das natürlich nicht. Wenn relevante Informationen nicht vorliegen, ist das schlecht. Vor allem weiß der Arzt nicht, was verborgen ist. Das Risiko dafür trägt allerdings der Patient selbst.
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Was sollte zwingend in der ePA stehen?
Die Medikationsliste ist elementar. Sie ermöglicht dem medizinischen Personal eine schnelle Orientierung und hilft, unerwünschte Wechselwirkungen zu vermeiden. Auch Entlassungsbriefe der Kliniken sollten in der ePA bleiben.
Die Versicherten können Dokumente einstellen. Welche sollten das sein?
Da denke ich zuerst an Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Organspendeausweis. Idealerweise bleibt das Befüllen der Akte aber in den Händen eines Arztes. Verfügungen und Vollmachten sollten mit ihm besprochen sein. Wir sehen immer wieder Schriftstücke, die viel zu unpräzise sind.
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Eine Weiterentwicklung wird die anonyme Datenspende zu Forschungszwecken sein. Was versprechen Sie sich davon?
Diese Funktion ist extrem wichtig. Mit den Daten aus der ePA könnten wir endlich sehen, wie es den Patienten tatsächlich geht mit den Therapien, die sie bekommen. Im Moment wissen wir in Deutsch-land gar nicht, wie effektiv unsere Medizin tatsächlich ist. Korea wertet längst landesweite Daten aus. Da sind zum Beispiel alle COPD-Patienten erfasst. Die Ergebnisse sind hochinteressant. So zeigte sich, dass Menschen mit COPD an warmen Tagen besonders große Probleme haben. Jetzt wird ein Warnsystem entwickelt. Die Patienten erhalten Nachrichten auf ihr Smartphone, in denen sie über bevorstehende heiße Tage informiert werden und Verhaltensempfehlungen bekommen.