Union und SPD haben sich in einem Sondierungspapier auf die wichtigsten Kernpunkte geeinigt – Koalitionsgespräche sollen folgen. Die Grünen bezeichnen die Vorhaben als “Gift für unser Land”.
CDU/CSU und SPD wollen Koalitionsverhandlungen für eine schwarz-rote Bundesregierung aufnehmen. Laut Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) könnten die Verhandlungen in der kommenden Woche beginnen. Am Samstag hatten Union und SPD ein Abschlusspapier zu den Sondierungsgesprächen vorgelegt – acht Tage nach deren Beginn.
Was könnte sich mit einer schwarz-roten Bundesregierung ändern? Das Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD gibt einen Vorgeschmack – unter anderem bei Migration, Finanzen, Arbeit …
Man habe “in einer ganzen Reihe von Sachfragen Einigkeit erzielt”, sagte Merz nach der entscheidenden Beratungsrunde in Berlin. Er sprach von einer “guten und sehr kollegialen Atmosphäre”. Auch SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von “konstruktiven” Gesprächen. In den zentralen Finanzfragen hatten die Sondierer mit der Lockerung der Schuldenbremse und einem gigantischen Sondervermögen für Infrastruktur bereits am Dienstag einen Durchbruch erzielt. Die Union kam der SPD dabei entgegen.
Grünen-Chefin Brantner: “Gift für unser Land”
Die Grünen kritisieren die Ergebnisse der Sondierungen von Union und SPD scharf und stellen ihre Zustimmung zu dem geplanten Milliarden-Schuldenpaket infrage. “Von einer Zustimmung sind wir heute weiter entfernt als in den letzten Tagen”, sagt Co-Parteichef Felix Banaszak. Co-Parteichefin Franziska Brantner, die für die Grünen in Baden-Württemberg als Spitzenkandidatin antrat, unterstreicht: Das Sondierungspapier habe die Grünen “ein Stück weiter weggebracht von einer Zustimmung”.
Die “kleine Koalition”, wie Brantner Union und SPD bei einem Pressestatement nannte, würde versuchen “kein Problem zu lösen, sondern alles mit Geld zuzuschütten”. Ihr fehlten strukturelle Reformen. “Das ist Gift für unser Land”, so Brantner. “Wir sehen, dass es in dem Papier auch in Richtung Wirtschaft keinerlei innovative oder neue Ansätze gibt”, so Brantner. Sie sieht darin “den Stillstand, den die GroKo bereits jahrelang praktiziert hatte”.
Union und SPD benötigen die Zustimmung der Grünen zu einer Grundgesetzänderung für ihr Schuldenpaket und einer Lockerung der Schuldenbremse, die der Bundestag noch in alter Zusammensetzung beschließen soll.
Kretschmann begrüßte Schuldenpaket von Union und SPD
Anders BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er hatte das Schuldenpaket beim Politischen Aschermittwoch noch als “im Großen und Ganzen” vernünftig bezeichnet. Auch wenn es noch einige offenen Fragen gebe. Am Samstag äußerte er sich bislang nicht.
Baden-Württemberg
Wenig Häme zwischen Koalitionsparteien
Politischer Aschermittwoch: Kretschmann begrüßt Schuldenpaket von Union und SPD
Beim politischen Aschermittwoch zeigt sich BW-Ministerpräsident Kretschmann offen für das Schuldenpaket von Union und SPD. Beim Treffen der BW-CDU ist Generalsekretär Linnemann zu Gast.
SPD-Parteichefin Esken: Wichtige Grundlage für Aufbruch
SPD-Parteichefin Saskia Esken, die für ihre Partei in Baden-Württemberg als Spitzenkandidatin antrat, nannte am Samstag die Einigungen bei Schuldenbremse und Sondervermögen für die Infrastruktur eine wichtige Grundlage, um neuen Aufbruch, Wohlstand, Stabilität und Zusammenhalt zu ermöglichen. Auch die Sicherheit solle “stark und souverän” organisiert werden. Die lange Zeit brachliegenden Investitionen in die Infrastruktur wie Brücken und Schienen, aber auch Bildung und Gesundheit seien wichtig, so Esken.
Weidel: Merz bricht Wahlversprechen
Die AfD warf Unions-Kanzlerkandidat Merz Wortbruch vor. “Für den Bruch seiner Wahlversprechen und seine Kapitulation vor dem Verschuldungswahn der SPD hat Friedrich Merz lediglich vage Versprechungen und Formelkompromisse in der Migrationspolitik voller Vorbehalte und Hintertüren bekommen”, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla. Weidel trat bei der Bundestagswahl in Baden-Württemberg als Spitzenkandidatin an.
Nach schwarz-roter Sondierung
Viel Kritik an Plänen der “Kleinen Koalition”
Die AfD sieht im schwarz-roten Sondierungspapier Sozialismus, die FDP “ideologisierte Klimapolitik”. Linke und Grüne hingegen kritisieren Versäumnisse im Sozialen. Die Grünen stel…
Bald Zurückweisungen von Asylsuchenden an BW-Grenzen?
In der Union hoffte man nach der Einigung bei Schuldenbremse und Sondervermögen auf ein Entgegenkommen der SPD beim Hauptstreitpunkt Migration. Darauf hat sich die SPD nun eingelassen.
An den Landgrenzen sollen künftig auch Menschen zurückgewiesen werden, die ein Asylgesuch stellen – allerdings nur in Abstimmung mit den Nachbarstaaten. Möglich sind Zurückweisungen grundsätzlich nur da, wo es stationäre Grenzkontrollen gibt – also auch in Baden-Württemberg. Die hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zwar in den vergangenen Jahren sukzessive für alle deutschen Landgrenzen angeordnet. Wer einen Asylantrag stellen will, darf aber in der Regel einreisen.
Sondierungspapier: Korrespondent zu wichtigen Punkten
Für SWR-Hauptstadtkorrespondent Sebastian Deliga sind vor allem die Vorhaben in der Migrationspolitik “erstaunlich”: Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, Einschränkungen des Familienzuzugs und die Begrenzung wieder als Ziel der Migrationspolitik in Deutschland aufzunehmen. “All dass, was für die SPD vor einigen Wochen im Deutschen Bundestag noch nicht zustimmungsfähig war, das kommt jetzt”, sagt er.
Als Neuerung in der Wirtschaftspolitik soll ein Industriestrompreis kommen. “Das ist ja eine Forderung, die ausgerechnet der Grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann immer erhoben hat, und die an Olaf Scholz (SPD), dem Noch-Bundeskanzler, und der FDP immer gescheitert ist”, erklärt Deliga.
Außerdem soll es einen Kaufanreiz für E-Autos geben. “Das, was der Grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sehr kurzfristig ausgesetzt hatte”. Und ebenfalls interessant: Der Agrar-Diesel für Landwirtinnen und Landwirte soll wieder gefördert werden. “Das war ja genau die Ursache für die Bauernproteste vor einiger Zeit”, so der SWR-Hauptstadtkorrespondent.
Bürgergeld soll reformiert werden
Ein weiterer großer Streitpunkt war das Bürgergeld. “Wir werden das bisherige Bürgergeldsystem neu gestalten, hin zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende”, sagte Merz nun nach den Gesprächen. Er kündigte an: “Für Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.” SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, wer sich komplett verweigere, könne nicht auf die gleiche Unterstützung setzen, das sei fair und gerecht.
Esken lobte die Einigung bei der Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Prozent – davon würden niedrige Einkommensgruppen profitieren. Besonders am Herzen lag ihr Esken das Projekt zur Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, das Union und SPD ebenfalls angehen wollen.
So wollen Union und SPD den Strompreis senken
Zur Entlastung von Unternehmen und privaten Haushalten wollen Union und SPD die Stromsteuer senken. Konkret soll sie auf den in der EU erlaubten Mindestwert gesenkt werden. Das soll zu Entlastungen um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde führen. Union und SPD wollen daneben die Übertragungsnetzentgelte halbieren, ein Bestandteil des Strompreises. Wirtschaftsverbände beklagen seit langem im internationalen Vergleich hohe Energiekosten. Dies hemme Investitionen in Deutschland.
Nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox würde eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 4.000 kWh dadurch 93 Euro weniger bezahlen. Ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 2.800 kWh könnte mit einer jährlichen Entlastung von 65 Euro rechnen.
Bundestagswahl am 23. Februar: So hat Deutschland gewählt
Die Union hatte die Bundestagswahl mit 28,5 Prozent deutlich gewonnen. Die SPD landete mit 16,4 Prozent hinter der AfD (20,8 Prozent). Eine Alternative zur schwarz-roten Koalition gibt es nicht, weil Schwarz-Grün keine Mehrheit hat und eine Zusammenarbeit mit der AfD von der Union klar ausgeschlossen wird.