Nachdem die frühen Menschen die meiste Zeit ihrer Evolution in der afrikanischen Savanne verbrachten, wurde ihr Überleben in kälteren nördlichen Klimazonen nur durch eine Gewöhnung an Kälte möglich. Die Verringerung von Wärmeverlusten an die Umgebung erforderte kulturelle Errungenschaften, wie die Beherrschung von Feuer, Kleidung und die Errichtung isolierender Unterkünfte.
Das Überleben in Kälte erforderte auch bestimmte biologische Eigenschaften, wie eine den Wärmeverlust verringernde geringe Oberfläche, einen für Kälte optimierten Stoffwechsel, eine an Kälte angepasste Durchblutung der Haut und ein Signalsystem, das über die Haut, Kälte wahrnimmt und dann rechtzeitig die Anpassung (Akklimatisation) an Kälte ermöglicht. Trotz dieser Akklimatisationsfähigkeiten ist Sport in Kälte weder ungefährlich, noch für jedermann zu empfehlen. Wer die Ursachen möglicher Probleme kennt, kann sich schützen.
Prof. em. Dr. Dr.h.c. Peter Paul Nawroth war nach Tätigkeit an der Columbia University und anderen Universitäten Direktor der Inneren Medizin I und Klinische Chemie Heidelberg. Mehrere Jahre war er im Vorstand des Universitätsklinikums tätig. Er erhielt ein Heisenberg-Stipendium und eine Schilling Professur. Er erhielt mehrere Ehrungen, wie den Camillo-Golgi Preis der Europäischen-, die Langerhans Lecture der Deutschen-Diabetes Gesellschaft. Er war Sprecher eines Sonderforschungsbereiches mit dem Schwerpunkt “Folgeschäden des Diabetes”. Mehr dazu finden Sie hier.
Einige wichtige Mechanismen der Gewöhnung an Kälte
Die Gewöhnung an Kälte, präziser die Akklimatisation, hat ein Ziel: Die Wärmeproduktion soll gleich oder größer als der Wärmeverlust sein. Dazu ein bisschen Physik: Der Wärmeverlust an die Umgebung ist wegen der besseren Leitfähigkeit in kaltem Wasser ein Mehrfaches, als an der Luft. Schwimmen in 14 Grad kaltem Wasser kann mehr auskühlen, als Skilanglauf bei Frost. Das bedeutet für den Sportler auch: Kalte feuchte Luft, vor allem wenn der Körper durch Schwitzen feucht ist, bedeutet ebenso wie Wind, eine schnellere Abstrahlung von Wärme. Wie funktioniert die Kälteadaptation?
- In der Haut befinden sich Kälte-sensitive Rezeptoren (Eiweiße an der Oberfläche von Zellen), die Kältesignale in die jeweilige Zelle und von dort an das Gehirn weitergeben.
- In den Hirnregionen, die man Thalamus, Hypothalamus und Cortex nennt, werden diese Signale verarbeitet.
- Gesteuert von den oben genannten Hirnarealen werden Signale an die Haut, die Gefäße, den Stoffwechsel, die Muskulatur und spezielles Wärme produzierendes „braune Fett“ weitergeleitet.
- Die jeweiligen Körperteile reagieren. Das „braune Fett“ aktiviert einen Wärme produzierenden Stoffwechsel. Diese Wärme wird nach Kältegewöhnung ohne Beteiligung der Muskeln und damit ohne muskuläres Kältezittern produziert. In der Muskulatur wird bei mangelnder Gewöhnung an Kälte die Wärmeproduktion (Fachwort: Thermogenese) durch asynchrone Muskelaktivierung, dem Zittern, aktiviert.
- In Organen wie dem Verdauungstrakt, der Blase, dem Rückenmark, dem Fettgewebe, der Haut, den Muskeln und Herz, sowie anderen Organen, gibt es Wärmesensoren, die die Körpertemperatur erkennen und wieder an das Nervensystem und Gehirn zurückmelden.
Eine 4-wöchige Gewöhnung an Kälte verlagert die Wärmeproduktion vom Skelettmuskel („Zittern“) auf das sogenannte „braune Fett“. Diese Kälte vermittelte Veränderung des Stoffwechsels führt auch bei Menschen mit Übergewicht und Adipositas zu einer Verbesserung des Stoffwechsels, der mit einer Verbesserung des Zucker- und Fettstoffwechsels einhergeht.
Durch diese Veränderung des Stoffwechsels wird der Mensch in die Lage versetzt, kalorienreiche Nahrung (Fett und Zucker) zuzuführen und für die Wärmegewinnung zu verstoffwechseln. Aber bei Patienten mit Typ 2 Diabetes ist dieser Mechanismus nicht mehr aktiv, was mit einem verringerten muskulären Zittern einhergeht.
Zusammenfassend: Ohne ein funktionierendes Nervensystem, einem zur Reaktion fähigen Gefäßsystem, ausreichend Muskulatur und einem adaptationsfähigen Stoffwechsel ist eine Kälteexposition – vor allem wenn Sport und Höhenluft zusammentreffen – gefährlich.
Wir sind sehr verschieden
Blickt man auf die Extreme, sieht man, wie die Evolution half, sich an extreme Temperaturen anzupassen: Arktische Bevölkerungen haben eine höhere metabolische Rate, eine höhere Hand- und Fußtemperatur und einen vermehrten Blutfluss im Vorderarm und den Händen. Es gibt Berichte der amerikanischen Streitkräfte, dass afrikastämmige amerikanische Männer und Frauen 2,2-fach häufiger Verletzungen durch kaltes Wetter erleiden, als aus Europa stämmige Amerikaner.
Aber schaut man sich diese Daten genauer an, sieht man, dass die Abweichungen des Umgangs mit Kälte zwischen scheinbar gleichen Individuen größer sind, als zum Beispiel der Unterschied zwischen Kaukasiern und Afrikanern oder die Messwerte vor und nach Gewöhnung an Kälte. Das liegt daran, dass die verschiedenen Regulationsmechanismen ineinander verschränkt sind. Allein die für die Wärmeabstrahlung wichtige Körperoberfläche variiert zwischen Menschen um das 2,8-fache von 1,28 bis 3,56 Quadratmetern. Das erklärt, warum so viele Studien sich widersprechen. Das gilt auch für die fraglich nachweisbaren Unterschiede zwischen Frauen und Männern.
Ein Beispiel für die Unmöglichkeit in Studien die Bedeutung einzelner Parameter exakt festzulegen: Die Muskelmasse beeinflusst den Stoffwechsel, ebenso wie die Fettmasse. Korrigiert man die Stoffwechsel Adaptation an Kälte für Muskelmasse, ergibt es ein anderes Ergebnis, als wenn man für Fettmasse, Körpergröße, Geschlecht oder Körperoberfläche korrigiert. Warum ist es so wichtig, dies zu wissen? Weil sich daraus die Verpflichtung ergibt, selber bei Sport in Kälte genau zu prüfen, wie man auf Kälte reagiert. Jeder ist anders – eine allgemeingültige Regel kann es nicht geben.
Und es wird noch komplexer: Ein Schutzmechanismus gegen Wärmeverlust ist die Verengung von Gefäßen auf einen Kältereiz hin. Doch das erhöht das Risiko von Frostschäden. Weitere Studien fanden, dass es Menschen gibt, die auf Kälte mit einer niedrigeren Hauttemperatur und (eventuell deswegen) mit einer geringeren Stoffwechselreaktion antworten, andere hingegen mit hoher Hauttemperatur und einer starken Aktivierung des Stoffwechsels. Bei einigen werden auf Kälte hin die Muskeln der oberen, bei anderen die der unteren Körperhälfte aktiviert. Einige reagieren mehr mit einem kurzen kräftigen, andere mit einem lang anhaltendem Zittern.
Dennoch gibt es aus den oben beschriebenen Akklimatisationsmechanismen Hinweise, wer besonders durch Kälte gefährdet ist:
- Geringe Muskelmasse: Das trifft auf ältere, untrainierte und unterernährte Menschen zu, aber auch auf Menschen mit Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 oder Kortisontherapie, die einen Muskelschwund erleiden.
- Nervenschädigung: Viele der Kälteakklimatisationsmechanismen sind von der Funktion von Nervenzellen abhängig. Diese ist gestört bei Neuropathie aller Ursachen, dazu zählen das Alter, Alkohol, aber auch Medikamente, Diabetes, Folgen von Infekten, lange Verweildauer auf Intensivstationen und vieles mehr. Im weiteren Sinne zählt auch die Müdigkeit zu einem die Nervenfunktion (und den Stoffwechsel) beeinflussendem Risikofaktor.
- Gestörte Gefäßfunktion: Das betrifft viele Menschen mit höherem Alter, Bluthochdruck, Frühstadien des Diabetes, Medikamenteneinnahme, Alkohol, einige Diäten (vor allem Kalorienmangel – ungenügende Zufuhr von Fett und Zucker) und vieles mehr.
- Diät: Eine negative Energiebilanz (also mehr Kalorien verbrauchen als zuführen) vermindert bei Kälte die mentale Kapazität und Fähigkeit zur Thermoregulation (also Anpassung an Kälte).
- Dehydrierung: Eine Dehydrierung (höherer Flüssigkeitsverlust als Zufuhr – vor allem in kaltem Wasser) führt zu einem höherem Sauerstoffverbrauch schon bei geringer Belastung, reduziert die Effizienz des Muskeleinsatzes und die Zeit bis zur Erschöpfung und verändert die Thermoregulation.
Insbesondere für Skifahrer, aber auch Autofahrer, die sich noch unterkühlt ins Auto setzen, ist ein Hinweis wichtig: Die Gewöhnung an Kälte verbessert nicht die Kälte bedingte Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten. Dazu zählen Reaktionsfähigkeit, Gleichgewichtsempfinden und Sehschärfe. Wichtig auch: Das Kälte-Zittern ist eine asynchrone, nicht willentlich steuerbare Muskelaktivierung, die den gewollten Muskeleinsatz behindert. Eine Folge ist beispielsweise eine erhöhte Sturzgefahr beim Skifahren.
Worauf man achten sollte
Die Umstellung des Körpers auf Kälte benötigt einige Tage und ist bei vielen Erkrankungen (Diabetes, Hochdruck, Nervenschädigung, kalorienarme Diät, Muskelschwund, Alter etc.) und durch etliche Medikamente gestört.
Vor Sport in Kälte (vor allem im kalten Wasser) sollte mit dem Arzt besprochen werden, ob der Blutdruck gut eingestellt ist (denn Kälte kann zu einem Blutdruckanstieg führen) und ob eine durch Kälte verursachte Bronchokonstriktion (Kälteasthma) vorliegt (sollte circa 15 Minuten vor Beginn der sportlichen Tätigkeit behandelt werden). Neben der messbaren Temperatur sind Wind, Luftfeuchtigkeit und Regen Parameter, die die Gefahr von Kälte beeinflussen.
Flüssigkeitsmangel und eine kalorienreduzierte Diät erhöhen die Gefahr durch Kälte. Bei großer Kälte ist eine Gesichtsmaske sinnvoll (um durch trockene Luft eine Schädigung der Atemwege und Infektanfälligkeit zu vermeiden).
Die Kleidung sollte so gewählt werden, dass es nicht während der sportlichen Tätigkeit zu starker Schweißbildung kommt, die den Körper weiter auskühlt), andererseits es bei Pausen nicht zu einer Unterkühlung in den Ruhephasen kommt. Nasse Kleidung ist zügig zu wechseln.
Aufwärmen vor Beginn des Sportes ist wichtig, nicht nur um der durch das Zittern asynchronen Muskelaktivität entgegenzuwirken, sondern auch um Gleichgewicht, Reaktionsfähigkeit und sichere Ausübung der sportlichen Tätigkeit sicherzustellen.