Nur der FC Liverpool holte mehr Punkte: Sporting Lissabon überzeugt in der Champions League – auch weil Viktor Gyökeres trifft und trifft und trifft. Über einen, der gerade manchen überrascht.
Alles begann mit Jos Luhukay. Vor einigen Jahren, als Luhukay noch im Fußball tätig war, ist er nach einem Spiel seines damaligen Arbeitgebers FC St. Pauli einmal auf den Spieler des Spiels angesprochen worden. “Er ist gelaufen wie ein Rennpferd”, sagte Luhukay. “Ich glaube, der wollte noch eine halbe Stunde länger spielen. Der war nicht kaputt zu kriegen.”
Der Mann, über den er sprach, hatte an diesem Samstag im Dezember 2019 zwei Tore in einem Zweitligaspiel erzielt, eins hatte er vorbereitet. Luhukay aber hob nicht die Tore von Viktor Gyökeres hervor, er lobte ihn für die Zweikämpfe, die er geführt hatte und die Meter, die er gelaufen war.
Luhukay, 61, war fast 25 Jahre Trainer, er hat bei Klubs wie dem 1. FC Köln gearbeitet, bei Borussia Mönchengladbach, dem VfB Stuttgart oder eben St. Pauli. Er ist mit drei Vereinen in die Bundesliga aufgestiegen. Heute ist Luhukay kein Trainer mehr, er hat seine Karriere beendet.
Nur Liverpool ist erfolgreicher als Sporting
Gyökeres ist nicht mehr als Leihspieler beim FC St. Pauli tätig. Er spielt nun mit Sporting Lissabon in der Champions League, am Dienstagabend (26.11.2024, ab 21 Uhr im Live-Ticker) treffen sie auf den FC Arsenal – und sind dabei nicht unbedingt Außenseiter.
Nach vier Spielen ist Sporting in der Tabelle der Champions League Zweiter (10 Punkte), nur der FC Liverpool (12 Punkte) ist besser. Das ist schon eine Überraschung – auch wenn gerade einmal die Hälfte der Vorrundenspieltage absolviert ist. Und der Erfolg von Sporting Lissabon ist eng verknüpft mit dem Wirken des Torjägers Gyökeres.
69 Spiele, 67 Tore – kann man so machen
Wenn Gyökeres, 26, ein Tor erzielt hat, verschränkt er die Finger beider Hände vor dem Mund, die Daumen legt er an die Schläfen. Das erinnert an den Batman-Bösewicht Bane im Film “The Dark Knight Rises”. Gerade kann man Gyökeres mit einiger Regelmäßigkeit dabei zusehen, er trifft und trifft und trifft: In vier Champions-League-Spielen hat er fünf Tore erzielt. Keiner jubelte öfter. Zuletzt traf er dreimal in nur einem Spiel gegen Manchester City, zweimal aus elf Metern, einmal mit einem Heber.
In bald anderthalb Jahren in Lissabon hat er in 69 Pflichtspielen 67 Tore erzielt, 19 Treffer legte er auf. Er kann es mit dem linken Fuß, aber noch lieber schießt er mit rechts. Er ist ein sicherer Elfmeterschütze, und seine Freistöße fürchten auch Torhüter in der Königsklasse. Er führt sie aus mit Wucht und viel Effet. Doch Gyökeres fällt nicht nur wegen seiner Tore auf. Er ist schnell und läuft viel, oft läuft er richtig.
Manchmal verlässt er seine Position im Angriffszentrum, nur um Sekunden später auf dem linken Flügel aufzutauchen. Für Abwehrspieler ist das unangenehm. Weil Gyökeres, fast 1,90 Meter groß und 90 Kilogramm schwer, nicht nur schnell ist, sondern auch am Ball etwas kann. Weil er dribbelt und manchmal Übersteiger macht. Vom Flügel zieht es ihn dann zurück ins Zentrum. So hat er schon einige Treffer erzielt.
In solchen Momenten vereint Gyökeres in seinem Spiel Wucht und Eleganz. Vielleicht würde ihn der Ex-Trainer Luhukay noch immer mit einem Rennpferd vergleichen. Aber das Rennpferd tanzt nun manchmal Salsa.
Erstligadebüt mit 25
So fällt man auf als Angreifer, auch in der Champions League. Und das ist schon eine Überraschung – schließlich ist Gyökeres das, was man im Fußballersprech einen Spätstarter nennt. Mit 19 wechselte er aus seiner Heimat Schweden nach England zu Brighton & Hove Albion, doch in der Premier League spielte er nie. Der Klub lieh ihn aus, erst nach Hamburg, dann zu Swansea, später zu Coventry.
Viktor Gyökeres jubelt im Trikot des FC St. Pauli
Einmal, nach einer Saison bei Swansea, in der Gyökeres ein einziges Tor erzielt hatte, sagte der Trainer Steve Cooper: “Es schlummert etwas in ihm.” Cooper ließ ihn trotzdem ziehen. Was er meinte, verstand mancher erst später. Für Coventry, das für ihn nach einer halbjährigen Leihe etwas mehr als eine Million Euro zahlte, erzielte Gyökeres immerhin 41 Tore in 121 Zweitligaspielen.
Das war auch den Verantwortlichen von Sporting Lissabon aufgefallen. Der Trainer Rúben Amorim, 39, sah in ihm das fehlende Puzzlestück für eine Mannschaft, der es an guten Ideen nicht fehlte. Ihr fehlte nur ein Torjäger. Der Sportdirektor Hugo Viana, 41, hatte keine Einwände.
So kam es, dass Gyökeres im Sommer 2023 für fast 25 Millionen Euro nach Lissabon wechselte. Mit 25 spielte er zum ersten Mal in einer ersten Liga. In seinem ersten Spiel traf er zweimal. Das war der Anfang.
“Wer kann es sich leisten, Gyökeres nicht zu kaufen?”
In den vergangenen Wochen ist manchmal über einen möglichen Wechsel von Gyökeres spekuliert worden. Wenn es nach den Berichten verschiedener Medien geht, findet sich unter Europas Spitzenvereinen kaum einer, der den Schweden nicht irgendwie ziemlich gut findet. So ist das, wenn einer so regelmäßig trifft.
Bei Sporting hat Gyökeres eine Ausstiegsklausel, das ist in Portugal so üblich. Ein Schnäppchen wäre er nicht. Und doch wäre es keine Überraschung, sollte er Lissabon nach dieser Saison verlassen. “Viele fragen, wer es sich leisten kann, Viktor Gyökeres zu kaufen”, schrieb kürzlich der “Expressen”, eine schwedische Zeitung. “Die Frage sollte umformuliert werden: Wer kann es sich leisten, ihn nicht zu kaufen?”
Amorim und Viana sind bald Konkurrenten in Manchester
Zu den Vereinen, mit denen Gyökeres zuletzt in Verbindung gebracht worden ist, gehören auch die Stadtrivalen aus Manchester, United und City. Und das wäre natürlich schon eine interessante Wendung: Trainer von United ist seit zwei Wochen Amorim, er hat Sporting nach viereinhalb Jahren mit fünf Titeln verlassen. Bei City wird zur neuen Saison Viana Sportdirektor. Beide sind gut befreundet, waren zuletzt manchmal zusammen im Urlaub. Bald werden sie Konkurrenten sein.
Auch Gyökeres ist zuletzt natürlich manchmal auf seine Zukunft angesprochen worden. “Natürlich möchte ich die Saison bei Sporting beenden, ich genieße meine Zeit dort”, sagte er dem Portal “Fotbollskanalen”. “Ich fühle mich nicht gestresst, wenn es um einen Wechsel in der Zukunft geht. Wir werden sehen, wann die Zeit gekommen ist.”