HomeNachrichtWenn Benzin plötzlich 38 Cent teurer wird, dann hat unsere Klimapolitik versagt

Wenn Benzin plötzlich 38 Cent teurer wird, dann hat unsere Klimapolitik versagt

Böse Überraschung für Autofahrer? Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland drohen ab 2027 „sprunghafte Anstiege“ vor allem der Tankkosten. Ganze 38 Cent mehr könnte ein Liter Benzin ab 2027 kosten, warnt der Verkehrsleiter beim ADAC, Stefan Gerwens.

Die Denkfabrik Agora Energiewende warnte in einer Untersuchung, die im Oktober 2023 veröffentlicht wurde, ebenfalls vor hohen Spritpreisen. Die Bundesregierung solle deshalb gegensteuern und Entlastungskonzepte auf den Weg bringen, so damals schon die Forderung.

Wenn der Markt den Preis bestimmt

Der Grund: Bisher bestimmt die Bundesregierung, wie hoch der CO2-Preis in Deutschland ist, der auf die Benzinpreise aufgeschlagen wird – derzeit liegt er bei 30 Euro pro Tonne. Ab dem 1. Januar 2027 geht der national organisierte Emissionshandel allerdings in den europäischen Handel (ETS II) über. Was klingt wie eine bürokratische Formalie, hat potenziell weitreichende Konsequenzen. Denn: Während der deutsche CO2-Preis gesetzlich vorgegeben ist, bestimmt im europäischen System ausschließlich der Markt den Preis.

Die EU legt eine Obergrenze fest, wie viel CO2 im Verkehrsbereich verbraucht werden darf, um noch kompatibel mit den Klimazielen zu sein. Wenn etwa eine Raffinerie dann Benzin herstellen und in Europa verkaufen möchte, muss sie für jede Tonne erzeugtes CO2 sogenannte Zertifikate kaufen. Je größer die Nachfrage nach fossilen Treibstoffen ist und je langsamer der Wandel etwa zur Elektromobilität oder zu Wasserstoff verläuft, desto schneller geht die Zahl der Zertifikate zur Neige – und desto schneller steigt der Preis.

Sorgenkind Verkehr

Und hier wird es vor allem für Deutschland im Verkehrssektor problematisch, argumentieren die Expertinnen und Experten von Agora. Denn in der Bundesrepublik ist der Verkehr ein echtes Sorgenkind. Zusammen mit dem Bereich Gebäude ist der Verkehr der einzige Sektor in Deutschland, in dem die CO2-Emissionen steigen, statt zu sinken. Analysen zufolge macht es vor allem der Verkehrssektor äußerst unwahrscheinlich, dass Deutschland seine Klima-Vorgaben fürs Jahr 2030 erreicht.

Der ehemalige Verkehrsminister Volker Wissing (vormals FDP, mittlerweile parteilos) musste sich immer wieder Vorwürfen erwehren, nicht genug für den Klimaschutz zu tun und simple Maßnahmen wie die Einführung eines Tempolimits zu ignorieren. Eigentlich hätte Wissings Ministerium im Sommer 2023 einen Sofort-Plan zum Klimaschutz vorlegen müssen, doch eine Gesetzesänderung der Ampel-Regierung entband ihn gerade noch rechtzeitig von dieser Pflicht.

Schock um Mitternacht

Hohe Nachfrage trifft also auf geringes Tempo bei der Transformation. Die Berechnungen der Agora-Expertinnen und -Experten gehen daher davon aus, dass der CO2-Preis sofort auf 200 Euro pro Tonne steigen wird – ein Vielfaches des deutschen Preises, der 2026 höchstens 65 Euro betragen soll. Die Folge: Den Berechnungen zufolge würde der Benzinpreis daher vom 31. Dezember 2026 zum 1. Januar 2027 sprunghaft steigen, um 38 Cent pro Liter.

„Es braucht jetzt ein durchdachtes Konzept, das auch Maßnahmen für den sozialen Ausgleich enthält“, sagte Simon Müller, Direktor der Deutschlandarbeit von Agora Energiewende, bei einer Pressekonferenz. „Ansonsten landet die Last letztlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.“

Keine Spur vom Klimageld

Tatsächlich hatte die Ampel einen Plan für diesen sozialen Ausgleich: Die deutschen Einnahmen aus dem ETS II darf die Bundesregierung nämlich behalten. Die Gelder hätten in den sogenannten „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) fließen und komplett für das sogenannte „Klimageld“ aufgewendet werden sollen. Beim Klimageld erhält jede Bürgerin und jeder Bürger dieselbe Pro-Kopf-Prämie ausbezahlt. Die Idee dahinter: Wer wenig CO2 verbraucht, wird finanziell belohnt, denn die Prämie ist dann höher als die zusätzlichen Unkosten, die durch den Emissionshandel entstehen. Wer viel verbraucht, zahlt hingegen unter dem Strich drauf.

In der Forschung gilt das Klimageld als eine der effektivsten Maßnahmen, um die Akzeptanz des Emissionshandels zu steigern, das Verhalten der Bevölkerung zu „lenken“ und um soziale Härten abzufedern. Das Problem ist jedoch: Das Klimageld wurde nie Realität.

Das lag auch an der Bürokratie – der Staat hatte noch keine Möglichkeit, um einfach allen Bürgern Geld zu überweisen. Der Klimafonds der Bundesregierung finanziert bislang vor allem Gebäudesanierungen, den Ausbau von Ladesäulen oder die Entwicklung einer Wasserstoff-Wirtschaft. In den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und FDP taucht das Klimageld nun aber wieder auf – die FDP bezeichnet es nun als „Klimadividende“.

Die Agora-Analyse fordert alternativ Entlastung etwa durch die Senkung der Stromsteuer auf das europarechtlich vorgeschriebene Minimum von 0,1 Cent pro Kilowattstunde. In Deutschland liegt die Steuer derzeit bei 2,05 Cent. Denkbar sei auch, die Preise im deutschen Emissionshandel bis 2026 stärker anzuheben, damit der „Sprung“ ins Jahr 2027 nicht so gewaltig ausfällt – und die Mehreinnahmen für zusätzliche Entlastungen zu nutzen.

Sünden der Vergangenheit

Die beste Methode sei aber eine andere, sagt Müller: „Der Weg, dass wir den Emissionshandel dahin bekommen, dass er niedrige Preise anzeigt, ist beim Klimaschutz nachzubessern.“ Je konsequenter die Politik den Wandel des Verkehrssektors vorantreibt, desto geringer wird auch die Nachfrage nach Benzin oder Diesel sein. Die Zertifikate verschwinden dann langsamer aus dem Markt, der Preis pro Zertifikat sinkt. Um das zu erreichen, hätte die Politik einige Maßnahmen in der Hand: Stärkere Förderung der E-Mobilität, Expansion des Öffentlichen Nahverkehrs, Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur, Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen – und noch viele mehr.

Wenn die Industrie – und damit am Ende die Verbraucher – einen hohen CO2-Preis berappen müssen, können sie sich also bei der Politik bedanken. Denn ein hoher CO2-Preis spiegelt vor allem die Versäumnisse der Vergangenheit wider. Als „die letzte Linie“ der Klimapolitik bezeichnet auch Müller den Emissionshandel: Wenn sonst nichts getan wird, dann wird es der Preis regeln. „„Der ETS ist eine Chance – fiskalisch wie klimapolitisch“, urteilt der Agora-Experte.

„Dieses Geld ist dann wirklich weg“

Aber wäre es dann eine Alternative, einfach keinen Klimaschutz zu betreiben? Besteht die Gefahr, dass opportunistische Politikerinnen und Politiker den Emissionshandel einfach wieder abschaffen, wenn er zu unbequem wird? So leicht geht das nicht, erklärt Müller – dafür ist er europarechtlich schon zu stark verankert. Einerseits ist Deutschland alleine grundgesetzlich schon zum Klimaschutz verpflichtet. Andererseits wäre der Aufwand enorm, weil der ETS eben ein Europa-Projekt ist. „Man müsste das ganze Paket aufmachen“, sagt Müller. „Das ist politisch überhaupt nicht einfach.“

Und überhaupt ist wissenschaftlich hinreichend belegt: Keinen Klimaschutz zu betreiben, ist finanziell betrachtet auch keine Lösung in Anbetracht der Folgekosten. Alleine schon deswegen, weil die EU dann die Bundesrepublik zu saftigen Strafen verdonnern kann. „Dieses Geld“, sagt Müller, „ist dann wirklich weg.“ Statt in einem schönen Topf zu landen.

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