Köln. Let‘s Dance: Bei RTL tanzen wieder Promis mit Profis und Millionen Menschen schauen zu. Profitieren die Tanzschulen von der Show.
Knapp neun Millionen Menschen in Deutschland interessieren sich laut mehrerer Umfragen fürs Tanzen. Da wundert es nicht, dass die jetzt gestartete neue Staffel der RTL-Show „Let‘s Dance“ wieder starke Einschaltquoten erzielt. Aber tanzen die Deutschen eigentlich selber noch gerne? Und lässt die Show jedes Jahr die Anmeldezahlen in den Kursen steigen? Eine Reise durch mehr als 50 Jahre Tanzschulgeschichte.
Ein Saal, eine Musikanlage, ein Tanzlehrer-(Ehe)paar und eine Reihe Jungs, die einer Reihe Mädchen gegenüberstehen. Im besten Fall in gleicher Stärke. Und wenn der Herr die Dame fragt „Darf ich bitten…?“ dann macht er das mit einer kleinen Verbeugung. Selbst wenn der Herr erst 16 und seine Dame gerade 15 Jahre alt ist. Weil man das so macht zu jener Zeit in einer deutschen Tanzschule.
Lernen wie man tanzt und was sich gehört
Wo man in den 1960ern noch Anzug und Krawatte, beziehungsweise Sonntagskleid trägt und auch lernt, „was sich gehört.“ Und wo man selbst in den 70ern nicht in ausgelatschten Sneakern und zerrissenen Jeans auftaucht, um Rumba, Samba, Cha-Cha-Cha und – wenn es sein muss – auch Walzer zu lernen. Vor allem aber, um auf der „Tanzparty“ oder der „Jugenddisco“ neue Jungs oder Mädchen kennenzulernen oder denen, die man schon kannte, näherzukommen. Gibt ja noch kein „Tinder“ und kein „Whats App“.
„Ein Teenager, der in den 1970ern nicht in eine Tanzschule ging, den gab es kaum“, sagt Heidi Schumacher, Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes (ADTV), in dem rund 1000 Tanzschulen zusammengeschlossen sind. „Rechts der Herr, links die Dame“, das Welttanz-Programm steht auf dem Lehrplan, aber auch Modetänze wie „Night Fever“. „Kick rück platz – und das swiveln nicht vergessen.“
So war es früher: Verlegen fordern die Herren die jungen Damen in ihrer ersten Tanzstunde zum Tanz auf. Undatierte Aufnahme aus den 60erJ-ahren.
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So bleibt das viele Jahre. Als „Dirty Dancing“ 1988 die Kinos erobert, haben viele Deutsche die Zeit ihres Lebens und wollen unbedingt Mambo lernen. Und als die Band Kaoma ein Jahr später die Charts stürmt, wollen sie in der Tanzschule ihres Vertrauens ihrer Hüftsteife zum Trotz „Lambada“ lernen. „Dann aber hat das Interesse am Paartanz spürbar nachgelassen“, erinnert sich Karl-Werner Wiemers, Sprecher des Wirtschaftsverbandes deutscher Tanzschulunternehmen. „Tanzen war für Jugendliche einfach nicht mehr in“, bestätigt Matthias Tuschen, Tanzlehrer seit über 40 Jahren und Betreiber der „Tanzwelt Schauburg“ in Iserlohn, einer der größten Tanzschulen in Nordrhein-Westfalen.
Let‘s Dance: Tanzen wie die Stars aus den Musikvideos
Bis sich immer mehr junge Menschen so bewegen wollen, wie die Stars, die sie rund um die Uhr in den Videos bei MTV und Viva sehen. Vor allem die Choreographien des Schweizers Rene Baumann, besser bekannt als DJ Bobo, werden in frühen 90ern gerne nachgetanzt. „Videoclipdancing“ heißt der Trend bald, der ADTV macht „Dance 4 Fans“ daraus. Getanzt wird allein oder in der Gruppe und in Sport- oder übergroßer Freizeitkleidung. Und wer die neuen „Moves“ unterrichtet, nennt sich „Instructor oder „Instructorin“. Überhaupt sieht man auf dem Parkett immer öfter Trainings- statt Abendanzug. Zumba, Barre, Bollywood Dance Fitness oder Pole. Kaum ein Fitnesstrend, auf den die Tanzschulen in den vergangenen Jahren nicht aufspringen.
„Eine Tanzschule muss heutzutage extrem breit aufgestellt sein“, weiß Tuschen. Trotzdem gibt es nicht alles überall. Größe der Räumlichkeiten, Lage, Bevölkerungsstruktur im Viertel – „Tanzschulen lassen sich kaum miteinander vergleichen“, sind sich Wiemers und Schumacher einig. „Was bei einem gut läuft, interessiert anderswo vielleicht kaum jemanden.“
Dance 4 Fans ist vor allem bei jungen Leuten extrem beliebt. Regelmäßig gibt es Wettbewerbe (Contests)
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Trotzdem gibt es natürlich Trends. „Kindertanzen ist sehr beliebt geworden“, sagt ADTV-Sprecherin Schumacher. „Wir müssen mittlerweile Wartelisten für Probestunden führen, so groß ist der Andrang“, erzählt auch Tuschens Ehefrau Margit. Mit drei Jahren können die Kleinen beginnen und kommen – ähnlich wie im klassischen Sportverein – alle paar Jahre in eine neue Gruppe. Und bleiben, wenn es gut läuft, über Jahre oder Jahrzehnte dabei.
Line Dancing wird immer beliebter
In letzter Zeit stehen neue Angebote für Frauen im Focus. Das ist kein Wunder. Denn wie zahlreiche Umfragen belegen, tanzen Frauen lieber als Männer. Und besonders gerne tanzen sie Tänze, für die sie nicht zwingend einen Partner brauchen. Deshalb nehmen immer mehr Tanzschulen „Line Dancing ins Programm auf, einen Gruppentanz, in dem die Tanzenden – wie der Name es beschreibt – in einer Linie tanzen. Gerne, aber längst nicht mehr nur zu Country-Klängen. Cowboy-Stiefel und Westernhut sind deshalb auch kein Muss. Und Vorsicht: Die Sache sieht einfacher aus, als sie tatsächlich ist. Denn getanzt werden Choreographien, die aus verschiedenen Schrittfolgen bestehen und eigens für die jeweiligen Lieder geschrieben wurden.
Seit über zehn Jahren gibt es den Club Linedance-Wally in Neukirchen-Vluyn. Mittlerweile treffen sich Menschen im ganzen Land zum Line Dance.
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Nie verschwunden und immer noch sehr beliebt ist der Disco-Fox. Und sehr angesagt ist seit einiger Zeit auch der „West Coast Swing“. Angeblich wurde er in den 1930er-Jahren zum ersten Mal im Savoy Ballroom in New York getanzt. Sein Vorteil: Er kann zu praktisch jeder 4/4-Musik getanzt werden – egal ob Blues, R’n’B, Funk, Clubsounds oder eben Swing. Seine fließenden Bewegungen und die vielen Drehfiguren machen ihn zudem zu einem sehr eleganten Tanz. „Die Nachfrage ist so groß, dass ihn immer mehr Schulen in ihr Programm aufnehmen“, hat Wiemers festgestellt.
„Let‘s Dance“ macht das Tanzen sichtbar in Deutschland
Und was ist mit Samba, Rumba, Jive und Co? Mit Walzer, Tango, Slowfox und Quickstepp? Dafür gibt es in den meisten Tanzschulen immer noch Kurse. „Und bei uns sind die sogar gut besucht“, sagt Mathias Tuschen. „Es kommen auch junge Paare“, ergänzt Ehefrau Margit, räumt aber ein. „Es sind nicht mehr so viele wie früher.“ Das ist in vielen Tanzschulen ähnlich und ändert sich auch nicht, wenn eine neue Staffel Let‘s Dance startet. „Junge Leute kriegen sie damit nicht in den Tanzkurs“, sagt Wiemers. Und auch nur selten in einen der mehr als 2000 Tanzsportvereine, wie Lars Keller, Sprecher des Deutschen Tanzsportverbandes (DTV) einräumt. Zahlen hat er zwar nicht, „aber es steht niemand Schlange, wenn die Sendung gelaufen ist“. Dennoch ist man in allen Verbänden froh, dass es sie gibt. „Let’s Dance sorgt dafür, dass das Tanzen sichtbar bleibt in Deutschland“, erklärt Keller.
Seit über 40 Jahren auf dem Parkett: Margit und Matthias Tuschen von der Iserlohner „Tanzwelt Schauburg“.
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Ganz ohne Auswirkungen ist das Promitanzen am Ende übrigens nicht, wie die Tuschens und andere Tanzlehrer aus zahlreichen Gesprächen wissen. Belastbare Zahlen gibt es zwar auch hier nicht, „aber immer, wenn eine Staffel läuft, kommen Kunden zwischen Ende 30 und Mitte 50 zurück, die früher schon mal Tanzkurse gemacht haben“, sagt Matthias Tuschen. Und Margit Tuschen verrät auch, wer die treibende Kraft in diesen Fällen ist. Fast immer sei ist es die Frau, die sagt: „Los, Mann, lass uns das auch mal wieder machen. War doch immer schön früher.“