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Wer war mit dabei im Dortmunder Atombunker?

Dortmund. Während des Kalten Kriegs haben 144 Menschen ein Atombunker getestet. Eine Woche lang waren sie eingesperrt. Eine Künstlerin sucht nach ihnen.

Sechs Tage lang Essen aus der Konserve, kein Tageslicht und die Hoffnung, dass niemand durchdreht: 144 Dortmunder haben in den 1960ern einen Atombunker getestet. Damals war der Sonnenbunker, der bereits im Zweiten Weltkrieg die Bevölkerung schützte, für 3,5 Millionen D-Mark zum ersten ABC-sicheren Bunker in Deutschland umgebaut worden. Aber funktioniert die Anlage im Dauerbetrieb und wie verhalten sich die Schutzsuchenden? Die Geschichte eines ambitionierten Experiments und warum eine Künstlerin heute ehemalige Teilnehmer sucht.

Ursprünglich sei sogar ein Test unter Vollbelegung mit 1500 Menschen geplant gewesen, heißt es auf der Webseite der heutigen privaten Besitzer des Sonnenbunkers. Letztlich habe man sich dazu entschieden, lediglich 144 Menschen für eine Woche im zweiten Obergeschoss unterzubringen. Die Probanden setzten sich aus drei Gruppen zusammen: „Junge Mädchen von 16 bis 21 Jahren, ältere Frauen und Männer – zwischen 50 und 67 Jahren“, so erinnert sich Journalist Thorsten Scharnhorst, der das Experiment damals begleitete.

144 Versuchskaninchen im Dortmunder Atombunker: So lief das Experiment ab

Im Jahr 2007 ist er noch einmal für seine Leser erneut durch die stählerne Schleuse am Eingang gestiegen, um sich zu erinnern. Die beschriebenen Ereignisse beruhen auf alten Pressemitteilungen, Artikeln und seinen Erzählungen.

Obwohl wesentlich mehr Menschen in den Bunker passen, als am Experiment teilgenommen haben, berichtet Scharnhorst von Versorgungsproblemen. Viele Leute auf engem Raum und dazu Hülsenfrüchte aus der Dose? Keine Gute Idee für ein friedliches Miteinander. „Pichelsteiner Eintopf und Erbsen mit Bauchspeck“ haben sich nachhaltig in sein Gedächtnis gebrannt. „Prof. Schunk, der die Studie damals leitete, hätte wissen müssen, dass eher leichte Kost angesagt gewesen wäre.“

Für einen Drehtermin hat der ehemalige Redakteur Thorsten Scharnhorst im Jahr 2007 nochmal in die Töpfe des Sonnenbunkers geschaut. An die Konservennahrung, die beim Bunkertest serviert wurde, konnte er sich noch gut erinnern.

Für einen Drehtermin hat der ehemalige Redakteur Thorsten Scharnhorst im Jahr 2007 nochmal in die Töpfe des Sonnenbunkers geschaut. An die Konservennahrung, die beim Bunkertest serviert wurde, konnte er sich noch gut erinnern.
© WR | Knut Vahlensieck

Erste Probleme schon nach 12 Stunden – 17-Jährige muss beruhigt werden

Auch die Wasserversorgung ist nicht optimal gewesen. In der simulierten Extremsituation war Wasser ein knappes Gut und musste rationiert werden. Quälender Durst war die Folge. Privatsphäre beim Toilettengang? Wunschdenken! Schließlich musste ein Aufpasser darauf achten, dass kein Tropfen Wasser verschwendet wird. Diese undankbare Arbeit und mehr entfiel auf die 50 Studienhelfer, meist Studenten, die sich ein paar Mark dazuverdienen wollten.

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Dafür, dass die Probanden eine Woche lang auf Freiheit und Komfort verzichteten, gab es 375 D-Mark Prämie. Wer früher aufgab, bekam 300 Mark. Doch die ersten Probleme traten schon nach rund 12 Stunden auf. Scharnhorst schreibt von einer 17-jährigen Teilnehmerin, die weinend im Tagesraum saß und ärztlich betreut werden musste. Nach ein paar Baldriantropfen und einer Nacht ohne die Gruppe wurde sie schon wieder integriert. „Eine Verstörung, nicht mehr“, habe Testleiter Professor Schunk attestiert.

Auf diesen engen Pritschen mussten die Probanden beim Dortmunder Atombunker-Test im Jahr 1964 schlafen. Heute sucht eine Künstlerin nach Zeitzeugen.

Auf diesen engen Pritschen mussten die Probanden beim Dortmunder Atombunker-Test im Jahr 1964 schlafen. Heute sucht eine Künstlerin nach Zeitzeugen.
© WR | Knut Vahlensieck

Müll und Chaos gefährden das Experiment

Nach etwas mehr als 24 Stunden musste die Testleitung erneut eingreifen. Das Problem: zu wenig Disziplin. Teile der Gruppe hielten sich laut Scharnhorst nicht in den ihnen zugewiesenen Räumen auf, der Müll sammelte sich und manche Teilnehmer klagten über mangelnde Organisation. Daraufhin wurden Gruppensprecher gewählt, die für Ordnung sorgen sollten.

Weitere Unruhe habe ein Kollege von einem Boulevardmedium verursacht, als er eine Mär über sexuelle Übergriffe niederschrieb, die ihren Weg zurück in den Bunker fand, so Scharnhorst. Die älteren Männer aus der Gruppe wollten den Journalisten per Bunker-Gericht zurück ans Tageslicht befördern, doch daraus wurde nichts.

Eine Woche später: Was beweist das Experiment?

100 Meter Kontrastpapier, 300 EKG-Streifen, und bergeweise Konservendosen und Zigarettenkippen später war der Test vorbei. Nach einer kurzen Einweisung durch die Ärzte – Vorsicht vor grellem Sonnenlicht und nicht zu viel Trinken – ging es zurück in die Freiheit.

Glückliches Wiedersehen: Eine Ehefrau, die sechs Tage im Dortmunder Atombunker verbracht hat, fällt ihrem Mann nach dem Ende des Belegungstests in die Arme. (WAZ vom 15. Juni 1964)

Glückliches Wiedersehen: Eine Ehefrau, die sechs Tage im Dortmunder Atombunker verbracht hat, fällt ihrem Mann nach dem Ende des Belegungstests in die Arme. (WAZ vom 15. Juni 1964)
© WAZ | Franka

Scharnhorst schrieb damals: „Das Experiment in Dortmund brachte sicherlich wertvolle Erfahrungen, Rückschlüsse auf das Maß der Anforderungen, die in einem Krieg an die Menschen zu stellen sind. Der Test hat aber nicht bewiesen, dass in einem Bunker nach dem Modell Dortmund 1500 Menschen 30 Tage leben können. Der Beweis fehlt noch.“

Künstlerin sucht Zeitzeugen – Wer hat am Bunkertest von Dortmund teilgenommen?

Das gilt bis heute. Der Bunker wurde zwar bis ins Jahr 1995 instand gehalten, doch zu einer Vollbelegung – egal aus welchem Grund – ist es nie gekommen. Bis vor Kurzem konnte man ihn noch besichtigen, doch die Besitzer haben die Führungen mittlerweile eingestellt.

Für ihr Projekt „Practising Apocalypse“ („Apokalypse üben“) sucht die Künstlerin Marlin de Haan Zeitzeugen, die das Experiment miterlebt oder daran teilgenommen haben und bereit sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Melden können sich Interessierte per E-Mail an post@marlindehaan.de oder unter der Rufnummer 0173 541 89 53. De Haan arbeitet an der Schnittstelle der darstellenden und bildenden Kunst. Sie nimmt am Programm „Zu Gast bei Urbane Künste Ruhr“ teil und plant eine „performative Arbeit“ über den Belegungstest im Dortmunder Sonnenbunker.

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