Bei Deutschlands größtem Unternehmen hat es geknallt: VW bricht mit seiner 30jährigen Tradition und will die Beschäftigungsgarantie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufkündigen und – damit nicht genug – auch einen seiner Standorte in Deutschland für immer dichtmachen. Konkrete Zahlen, wie viele der rund 120.000 Stellen hierzulande wegfallen könnten, nennt der Konzern nicht. Auch zu möglichen Standorten, die geschlossen werden könnten, gibt es keinen konkreten Hinweis. Nach Angaben des Betriebsrats hält der Markenvorstand aber mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik in Deutschland für entbehrlich.
Damit geht das ängstliche Rätselraten los: Ist mein Arbeitsplatz, ist mein Werk betroffen, fragen sich die VWler. Hier sind die Standorte, die es treffen könnte, im Überblick, inklusive einer Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für eine Schließung.
Wolfsburg
Direkt am Mittelkanal schlägt das Herz des Volkswagen Konzerns. Im Werk Wolfsburg arbeiten rund 60.500 Beschäftigte auf einer Fläche von mehr als sechs Quadratkilometern. Hier werden die Modelle Golf, Golf Sportsvan, Tiguan und Touran gebaut. Neben der Fahrzeugproduktion ist die Fertigung von Fahrzeugkomponenten, wie Cockpit oder Gelenkwelle, wesentlicher Produktionsbestandteil im Wolfsburger Werk. Das Werk ist Hauptsitz der Marke Volkswagen Pkw und auch Unternehmenszentrale des Volkswagen Konzerns mit seinen zwölf Fahrzeugmarken. Auch die Forschung und Entwicklung hat in Wolfsburg ihren Sitz. Mit 1,2 Quadratkilometern Gesamtfläche ist sie eine der größten weltweit. Die IT-City wurde 2017 eröffnet. Der Büro-Campus in der Nähe des Werks bietet 1500 Mitarbeitern der Konzern-IT und Digitalisierungsstrategie Platz. Eine Schließung kommt nicht infrage, solange es VW gibt. Eine Verkleinerung ist denkbar.
Hannover
In der niedersächsischen Landeshauptstadt wird seit Jahrzehnten der Bulli gebaut – und jetzt auch die elektrischen ID. Buzz-Modelle. Das Werk im Stadtteil Stöcken ist Stammsitz der Marke Volkswagen Nutzfahrzeuge. Es sieht dem Werk in Wolfsburg in vielerlei Hinsicht ähnlich. Das liegt daran, dass das Wolfsburger Werk einst Modell stand. Von hier wird das weltweite Geschäft mit Großraumlimousinen und leichten Nutzfahrzeugen im Volkswagen Konzern gesteuert. 14.200 Mitarbeiter bauen am Bulli, einige sind auch in der Gießerei, die unter anderem Zylinderköpfe und Saugrohre für den Konzernverbund herstellt. Außerdem befindet sich am Standort die Wärmetauscherfertigung. Das Werk zu schließen und die Bulli-Fertigung zu verlagern, wäre kurz- und mittelfristig teurer als auch hier einen reinen Sparkurs zu fahren.
Kassel
Am Standort Kassel Baunatal in Hessen steht mit 16.500 Mitarbeitern das zweitgrößte Volkswagen-Werk in Deutschland. Es ist spezialisiert auf Komponenten und Original-Teile. VW ist größter Arbeitgeber in ganz Nordhessen und einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren für die Region. „Mit seiner fortwährenden Kompetenz im Bereich Entwicklung, Planung und Serienfertigung trägt das Werk maßgeblich zu den Zukunftsprojekten des gesamten Volkswagen Konzerns bei“, heißt es von VW. Der Konzern unterstreicht damit die Bedeutung des Standorts. Die Beschäftigten sind spezialisiert auf die Herstellung von elektrischen Antrieben, Getrieben, warmumgeformten Karosserieteilen und Abgasanlagen, die in zahlreichen Fahrzeugmarken des Konzerns international verbaut werden. In Europas größter Leichtmetall-Gießerei werden unter anderem Getriebegehäuseteile aus Aluminium sowie große Strukturteile für Fahrzeugkarosserien hergestellt. Für die weltweite Versorgung der Konzernfahrzeuge mit Original-Teilen ist der Konzern „After Sales“ verantwortlich, der hier sitzt. Darüber hinaus werden in Kassel gebrauchte Motoren und Getriebe aufgearbeitet. Für den Standort gilt, was für die ersten beiden auch schon galt: Aus regionaler Sicht ist er „too big to fail“. Ihn zu schließen würde einen Proteststurm auslösen.
Braunschweig
Hier entstand 1938 das erste aller Werke der Volkswagen AG. Es wurde als Vorwerk für das spätere Hauptwerk in Wolfsburg errichtet und bildete die späteren Mitarbeiter aus. Heute steht Braunschweig für hoch entwickeltes technisches Know-how und gehört mit rund 7000 Mitarbeitern zu den global führenden und größten Herstellern von Fahrwerkkomponenten. Das Angebotsspektrum reicht von der Entwicklung bis zur Endmontage. Außerdem ist hier die weltweit größte Achsfertigung beheimatet. In nahezu allen Fahrzeugen des Konzerns werden Teile aus Braunschweig verbaut. Nach Wolfsburg ist es von hier aus keine halbe Stunde Fahrtzeit, ein Zusammenlegen wäre machbar, aber die Tradition des Standorts und die politische Lage – das Land Niedersachsen ist im VW-Aufsichtsrat, dürften die Braunschweiger schützen.
Salzgitter
Seit 1970 ist das Werk Salzgitter ein Teil von Volkswagen – der Antrieb sozusagen. Mehr als 63 Millionen Motoren wurden seit Gründung des Werkes dort gefertigt – Verbrennermotoren allerdings. Heute arbeiten am Standort rund 7500 Mitarbeiter. Das Volkswagen-Werk in Salzgitter ist Teil der Volkswagen Group Components. Als unternehmerisch eigenständige Geschäftseinheit im Konzernressort Technik verantwortet sie sowohl Entwicklung als auch die Fertigung von Komponenten für alle Marken des Konzerns. Im Zuge des Wandels zur E-Mobilität hat sich das Komponentenwerk Salzgitter auf die Produktion von Rotor und Stator spezialisiert, die in den Modellen der ID-Modelle von Volkswagen zum Einsatz kommen. Aber klar ist auch: Das Werk hat die Umstellung noch nicht abgeschlossen. Die schlechten Verkaufszahlen der E-Modelle machen sich hier bemerkbar. Und eine geografische Nähe zu Wolfsburg ließe eine Verlegung möglich erscheinen. Salzgitter könnte in die engere Auswahl der Schließungskandidaten kommen. Allerdings wird auch hier die Landesregierung ein Veto einlegen.
Emden
Direkt am Dollart und der Emsmündung liegt das Volkswagen-Werk Emden, das seit 1964 ein Teil von Volkswagen ist. Es war die Geburtsstätte des Passat im Jahre 1978 und ist mit seinem Hafen-Anschluss das Tor zur Welt. Rund 8000 Mitarbeiter arbeiten hier. Das Werk wurde jüngst aufwendig für 1,2 Milliarden Euro auf die Produktion von E-Modellen umgerüstet. Hier werden seit 2022 der ID.4, seit 2023 der ID.7 sowie weiter die VW-Passat- und Arteon-Modelle gefertigt. Nach einer Übergangsphase, in der am Standort sowohl Verbrenner als auch Elektrofahrzeuge parallel gefertigt werden, wird Emden ein reines E-Werk. Der Emder Hafen ist eine der zentralen Drehscheiben für den Im- und Export von Neufahrzeugen des Konzerns. In Zahlen sind das rund 600 Schiffe, 160.000 Waggons und 35.000 Lkw, die pro Jahr an die Emsmündung kommen und Autos anliefern oder abholen. Wenn VW hier abzieht, versinkt die niedersächsische Stadt in Agonie. Die jüngsten Investitionen, der Hafenanschluss und die Niedersachsen-Connection sprechen für den Erhalt des Standorts.
Zwickau
Das Fahrzeugwerk Zwickau gehört zur Volkswagen Sachsen GmbH. Hier werden nur vollelektrische Fahrzeuge produziert. In Zwickau werden sechs E-Modelle für drei Konzernmarken produziert, nach dem Hochlauf können bis zu 300.000 Fahrzeuge pro Jahr gebaut werden. Der Standort hat sich damit zum größten und leistungsfähigsten E-Auto-Werk Europas entwickelt und übernimmt eine Vorreiterrolle bei der Transformation des weltweiten Produktionsnetzwerks von Volkswagen. Das Werk besteht aus den klassischen Fertigungsbereichen Karosseriebau, Lackiererei und Fahrzeugendmontage. Zudem verfügt es weiterhin über Zentren zur Herstellung von Sonderfahrzeugen, Erdgasracks und Aluminium-Anbauteilen. Es steht damit in direkter Konkurrenz zu Emden. Auffällig: 9400 Mitarbeiter hat das Werk, aber es gibt laut Homepage derzeit nur eine neu zu besetzende Stelle – und das ist der Betriebsarzt. Die Zukunft des Standorts ist damit eher offen.
Chemnitz
Das Motorenwerk Chemnitz gehört ebenfalls zur Volkswagen Sachsen GmbH und liefert Motoren an die Fahrzeugwerke sowie Komponenten an die Komponentenwerke des Volkswagen Konzerns. Das Produktionsportfolio umfasst moderne TSI-Motoren sowie Motoren-Baugruppen wie Ausgleichswellen und Ventiltriebs-Module. Rund 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in Chemnitz tätig – und hier könnte es eng werden: Motorenkomponenten kommen auch von anderswo, Sachsen genießt nicht die gleiche politische Unterstützung wie Niedersachsen und das Werk hat nicht die kritische Größe anderer Standorte. Das Werk könnte auf die schwarze Liste geraten.
Dresden
Die Gläserne Manufaktur Dresden gehört ebenfalls zur Volkswagen Sachsen GmbH. Seit dem Produktionsstart des ID.3 im Januar 2021 hat sie sich zum „Home of ID.“ entwickelt. Das zentrale Ziel: Als Leuchtturm der Marke Volkswagen in Deutschland Kunden sowie Besuchern den ID als Erlebnis zu präsentieren. Die gläserne Fabrik war ein Prestigeobjekt des einstigen VW-Übervaters Ferdinand Piech. Sie zu schließen wäre von hohem Symbolwert – und brächte wenig Ersparnis. VW dürfte sich das zweimal überlegen.
Frankfurt
In Dreieich bei Frankfurt hat die Volkswagen Zubehör GmbH ihren Hauptsitz. Sie ist eine Tochtergesellschaft der Volkswagen AG und entwickelt und vermarktet weltweit Fahrzeugzubehör für die Pkw- und Nutzfahrzeug-Modelle von Volkswagen. Die Produktfamilie gliedert sich in Sport und Design, Leichtmetallfelgen und Kompletträder, Kommunikation, Transport, Komfort und Schutz sowie Lifestyle. Etwa 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind für die komplette Wertschöpfungskette des Volkswagen Original Zubehörs verantwortlich – von der Produktidee über die Entwicklung bis hin zu Marketing, Logistik und Vertrieb. Natürlich ließe sich die Einheit verlagern. Die Einspareffekte dürften aber zu vernachlässigen sein.
Osnabrück
In Osnabrück fertigt eine Tochtergesellschaft von VW Klein- und Kleinstserien. Hier steht auch das Kompetenzzentrum für Cabriolets und Roadster. Rund 2300 Mitarbeiter sind dort in den Geschäftsbereichen Technik, Finanz, IT sowie Personal und Organisation tätig. Auch hier gilt: An sich nicht bedeutend genug, um eine Schließung durchzusetzen, und: Niedersachen legt seine schützende Hand über den Standort. Ministerpräsident Stephan Weil fordert VW nämlich auf, Standortschließungen ganz zu vermeiden. Der Handlungsbedarf sei unbestritten, sagte der SPD-Politiker, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt. VW müsse aber zunächst alle anderen Möglichkeiten zur Kostensenkung prüfen. „Dabei erwarten wir, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt. Die Landesregierung wird darauf ein besonderes Augenmerk legen.“
Der Beitrag “Schließt VW ein Werk in Deutschland, sind diese drei besonders gefährdet” stammt von Business Punk.