Immer wieder wurde die Frage untersucht, mit teils sehr unterschiedlichen Resultaten: Ist ein Schlückchen Alkohol am Tag gesund oder nicht? In geringer Menge und in bestimmter Hinsicht könnte Wein gesund sein, ergab nun eine im „European Heart Journal“ vorgestellte Studie. Allerdings ist fraglich, ob der Effekt tatsächlich auf den Wein oder vielmehr auf andere Faktoren zurückgeht.
Den Studienergebnissen zufolge senkt ein halbes bis ein Glas Wein pro Tag bei Senioren mit einem besonderen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen über einen Zeitraum von knapp fünf Jahren das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall um etwa die Hälfte, verglichen mit Alkoholverzicht. Bei größeren Mengen verschwand der Schutzeffekt.
Wenig Wein, weniger Herzprobleme
Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am Deutschen Herzzentrum München, hält das Resultat für durchaus plausibel. „Viele Studien belegen, dass Menschen, die Wein in geringen Mengen konsumieren, weniger Herzprobleme bekommen“, sagte der Experte, der nicht an der Untersuchung beteiligt war. „Das heißt aber nicht unbedingt, dass dies auch der tatsächliche Grund für die Schutzwirkung ist.“
Menschen, die maßvoll Wein trinken, können andere Gemeinsamkeiten aufweisen: In der aktuellen Studie hatten sie etwa – im Vergleich zu den anderen Teilnehmern – eine längere Schulbildung. Auch genetische Faktoren könnten den Alkoholkonsum von Menschen beeinflussen, erklärte Schunkert, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Zudem gelte der in der Studie gezeigte Schutzeffekt für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nicht aber für andere Gesundheitsrisiken. Aufgrund der Studie, so der Mediziner, würde er niemandem raten, nun täglich ein halbes Glas Wein zu trinken.
Mehr als ein Glas Wein zerstörte Schutzeffekt
In der Studie prüfte das Team um Ramon Estruch von der Universitätsklinik Barcelona den Effekt einer mediterranen Ernährung – also reich an Olivenöl, Gemüse, Obst, Nüssen und Fisch – auf die Gesundheit von Senioren mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die mehr als 1200 Teilnehmer hatten etwa hohen Blutdruck, hohe Blutfettwerte, Übergewicht, Diabetes 2, oder sie rauchten.
Die Männer und Frauen mit einem Durchschnittsalter von anfangs 68 Jahren machten nicht nur Angaben zu ihrer Ernährung. Zudem maß das Team zu Beginn und gegen Ende der Studie in ihrem Urin den Gehalt an Weinsäure. Der gibt Aufschluss über den Konsum von Trauben und Wein in den vorherigen fünf bis sechs Tagen. Über die Dauer von durchschnittlich 4,8 Jahren registrierte das Team 685 Fälle einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, darunter Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Bei jenen Teilnehmern, die neben der mediterranen Diät täglich ein halbes bis ein Glas Wein tranken, sei das Risiko dafür halb so groß gewesen wie bei gänzlich auf Alkohol verzichtenden Menschen, schreibt die Gruppe. Bei einem Konsum von mehr als einem Glas verschwand der Effekt. Bei Frauen galt der Schutzeffekt im Vergleich zu Männern nur für die halbe Menge Wein.
Es muss nicht am Wein gelegen haben
Die Forscher berücksichtigten bei ihren Kalkulationen zwar auch andere Risikofaktoren, räumen aber ein, dass sie den Schutzeffekt nicht zwingend auf den Weinkonsum zurückführen können. Auch beruhe das Resultat auf Senioren mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die sich an eine mediterrane Ernährung hielten, und gelte nicht für andere Bevölkerungsgruppen.
In einem Kommentar in der Zeitschrift schreibt eine Gruppe um Giovanni de Gaetano vom italienischen Istituto Neurologico Mediterraneo in Pozzilli, die Studie sei ein weiterer Schritt zum Verständnis des komplexen Verhältnisses zwischen Wein und Gesundheit. Sie habe aber viele Umstände des Alkoholkonsums nicht erfasst, was ihre Aussagekraft einschränke.
Fachleute empfehlen auf Alkohol zu verzichten
Erst im Juli hatte eine Analyse Dutzender Studien im „Journal of Studies on Alcohol and Drugs“ ergeben, dass Alkohol auch in geringen Mengen nicht gesund ist. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät in einem im Oktober veröffentlichten Positionspapier dazu, gar keinen Alkohol zu trinken. Es gebe keine potenziell gesundheitsfördernde und sichere Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum. „Die DGE empfiehlt daher, auf alkoholische Getränke zu verzichten.“