- Im Video oben erzählt eine Unternehmerin von den skurrilsten Gen-Z-Ausreden.
Um hier gleich Missverständnissen vorzubeugen: Wenn ein Mensch krank ist, muss er zu Hause bleiben. Ich bin absolut dagegen, dass sich jemand – auch mit allerbesten Motiven – auf die Arbeit schleppt.
Aber die jüngste Statistik der AOK über Fehlzeiten in der Arbeit gibt mir zu denken. Warum, erkläre ich Ihnen gleich.
Zunächst einmal die Fakten. Allein zwischen Januar und August kamen auf 100 Versicherte rund 225 Arbeitsausfälle nach Krankmeldung, wie der AOK-Bundesverband errechnete: Das ist schon exakt der Wert aller zwölf Monate des Jahres 2023 zusammen. Und die Grippewelle steht erst noch bevor.
225 Arbeitsausfälle auf 100 Versicherte in 2024
Zum Vergleich: Laut AOK kamen im Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021 auf 100 Versicherte lediglich knapp 160 Krankheitsfälle pro Jahr. Der Zuwachs ist also rasant. Natürlich gibt es Gründe, die ich nicht ignoriere.
Die Atemwegserkrankungen haben zugenommen, was sicherlich noch eine Auswirkung der Corona-Welle ist. Auch die psychischen Leiden, vermutlich allen voran die Depression, zu der auch Burn-Out gerechnet werden kann, nehmen weiter zu. Das will ich – um Gottes Willen – nicht kleinreden.
Niemanden wird es verwundern – mich jedenfalls nicht –, dass in Zeiten wie unseren, in denen eine Hiobsbotschaft die andere jagt und die Angst vor einer düsteren Zukunft umgeht, Zehntausende Leute das Gefühl haben, dass ihnen der Boden unter den Füßen schwankt oder alles zusammenbricht.
Könnte der Verlust an Motivation eine Art neue Volkskrankheit werden?
Trotzdem traue ich mich, die These aufzustellen, dass der Verlust an Motivation, der Lust an der Arbeit, so etwas wie eine neue Volkskrankheit zu werden droht. Wir Deutschen sind ja nicht plötzlich alle aus Zucker. Oder?
Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius nannte die üppige Zahl der Krankmeldungen neulich ein „Problem für die Unternehmen“. Im „Spiegel“ sagte er: „Wenn unter gleichen Produktionsbedingungen der Krankenstand in Deutschland teils doppelt so hoch ist wie im europäischen Ausland, hat das wirtschaftliche Folgen.“ Das sagt eine Menge über den Zustand der Nation aus.
Ich gehe nämlich davon aus, dass Källenius aus Erfahrung spricht und damit auch die eigene Belegschaft meint. Denn Mercedes produziert Autos, Vans und Komponenten in Deutschland, aber auch Ungarn, Rumänien, Spanien und Polen – er hat also Vergleichsmöglichkeiten.
Früher war nicht alles besser – aber die Arbeitsmentalität schon
Erlauben Sie mir noch eine Frage: Sind wir Deutschen krankheitsanfälliger als früher oder einfach nur empfindlicher und frustrierter? Sind die steigenden Zahlen ein Zeichen schwacher Gesundheit oder schwacher Motivation? Haben wir schlicht keine Lust mehr, uns in den Arbeitsalltag zu stürzen?
Ich bin wahrlich niemand, der sagt, früher sei alles besser gewesen. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu überleben, vor 30 oder 40 Jahren weitaus geringer war, als sie es heute ist.
Ich weiß aber auch, dass sich Vertreter älterer Generationen, wie man so schön sagt, zusammengerissen und die Zähne zusammengebissen haben, wenn der Job rief. Man wurde gebraucht, das zählte und motivierte genug. Da wurde Raubbau am eigenen Körper betrieben. Das jedoch wollen viele Menschen – allen voran die Jüngeren – auf keinen Fall mehr.
Das verstehe ich. Das kann allerdings nicht bedeuten, dass sich Deutschland vor der Debatte drückt, die wir dringend führen müssen: Was läuft allgemein in der Gesellschaft und speziell am Arbeitsmarkt falsch?
Wir haben ein doppeltes Problem, über das nach wie vor zu wenig gesprochen wird: Es gibt einen Mangel an Arbeitskräften und einen Mangel an Lust auf und an der Arbeit. Auch das ist einer der Gründe, warum wir als Wirtschaftsstandort gerade abschmieren.
Liegt die Ursache in schlechten Arbeitsbedingungen?
Vielleicht liegt der Grund steigender Krankmeldungen an miserablen Bedingungen in Unternehmen. Wie ich immer wieder sage: Die Zeiten selbstherrlicher, toxischer und mobbender Chefs sind vorbei – nur haben es noch immer nicht alle bemerkt und verinnerlicht, dass gerade junge Menschen so nicht mehr wollen.
Wie wäre es also mit guter Führung, Freundlichkeit, Motivation und die Vermittlung des Gedankens, das Wohl eines Unternehmens als Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen? Das ist besser als ein hoher Krankenstand.
Fest steht doch: Fühlen sich Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen eng verbunden, sind sie weniger demotiviert und weniger krank.
Bei Anruf gibt es eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, jedenfalls in bestimmten Fällen. Ist unser Gesundheitssystem zu großzügig? Die vereinfachte Krankmeldung nach telefonischer Schilderung angeblicher oder tatsächlicher Leiden, ohne selbst den Arbeitgeber informieren zu müssen, tut sicherlich das ihrige dazu.
Sinkt dadurch nicht die Schwelle, sich krankzumelden, wenn die Hürde kleiner wird? Wie gelingt es uns, den Missbrauch kleinzuhalten? Ich sehe hier auch Ärzte in der Verantwortung, obwohl ich schon den Aufschrei ihrer Lobbyverbände hören kann.
Von der Opferrolle zur Eigenverantwortung
Mein wichtigster Punkt ist aber unsere Eigenverantwortung. Im Coaching geht es mir darum, dass Menschen raus aus der Opferrolle und rein in eigene Verantwortung gelangen.
Ehrliche Antworten auf die Fragen: Bin ich krank oder demotiviert? Nutze ich jede erstbeste Gelegenheit, der unliebsamen Arbeit zu entkommen?, kann nur jeder für sich selbst geben.
Meiner Einschätzung nach wird die Demotivation von einer anderen Unart begleitet: ein zu großes Anspruchsdenken, gepaart mit einer enormen Versorgungsmentalität.
Das trifft auf alle Generationen zu, denn es ist: typisch deutsch. Doch besonders besorgniserregend finde ich hier die Haltung vieler junger Menschen, die doch eigentlich – in Kraft und Saft – am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen.
Krankmeldungen kommen aus allen Generationen
Wie schon oben erwähnt: Niemand soll mit dem Kopf unter dem Arm in die Arbeit gehen – das will und meine ich nicht. Aber was in deutschen Unternehmen passiert, kann auch nicht sein.
Ich bin das ganze Jahr über als Beraterin für möglichst reibungslose Veränderungen in Betrieben jeder Art unterwegs und bekomme, auch weil Chefs und Abteilungsleiter wissen, dass ich ein Buch über die Generation Z geschrieben habe, viel erzählt. Oder ich frage gezielt nach bestimmten Aspekten, auch nach den Gründen für den Krankenstand.
Zusammengefasst lässt es sich so sagen: Die Krankmeldungen kommen aus allen Generationen. Aber die Begründungen von Angehörigen der Gen Z, oft in der ersten Arbeitsstation ihres Lebens, sind mitunter haarsträubend.
Gen Z: Nasenbluten und Burnout als Krankheitsgründe
Hier einige Beispiele, die mir erzählt wurden. Lesen Sie das, was jetzt kommt, besser im Sitzen, damit es Sie nicht umhaut. Eine junge Frau meldete sich krank wegen – Achtung! – Nasenbluten. Es war auch unkritisches Nasenbluten, wie sich herausstellte.
Ein junger Mann schaffte es nach nur vier Tagen im neuen Job nicht mehr in die Arbeit: Burnout. Halten junge Menschen rein gar nichts mehr aus? Sind sie wirklich so zart besaitet, dass sie nach nicht mal einer Woche Arbeit nervlich nicht mehr können?
Nachdem ein Azubi eine Arbeitsanweisung erhalten hatte, die ihm nicht passte, meldete sein Vater den Jüngling tags darauf krank. Der Papa machte dem Ausbilder Vorwürfe: „Nach dem Mobbing gegen meinen Sohn musste er sich krankschreiben lassen wegen psychischer Probleme.“ Mensch, Leute, wo führt das alles noch hin?
Liegt das Problem nicht im Körper, sondern in der Einstellung?
Das ist nicht gut – und heißt: Es läuft jede Menge schief in der Gesellschaft. Denn die, die sich wegen Nasenbluten krankmelden, sind nicht als Memmen geboren. Hier liegt die Verantwortung bei Eltern, die ihre Kinder zu leicht kränkelnden Menschen erzogen haben, die überhaupt nichts mehr aushalten, weder seelisch noch körperlich.
Wer im festen Glauben lebt, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt, schleppt sich durchs Leben, ist anfälliger, das gilt wiederum für alle Generationen. Vielleicht ist nicht unser Körper krank, sondern unsere Haltung zur Arbeit?