Serie: „So geht es Deutschland wirklich“: Yoga-Lehrerin erklärt extrem einfachen Trick, wie sie seit der Kindheit zufrieden ist
Sonntag, 09.03.2025, 11:00
Halb Italienerin, halb Deutsche: Yoga-Lehrerin Viola Saitta-Reiter genießt die Vorzüge beider Welten. Der deutschen Bürokratie begegnet die 53-Jährige mit Gelassenheit. Schon als Kind entschied sie, „dass ich zufrieden sein will“. Das Prinzip hält sie bis heute durch.
Dieses eine Geschenk zur Hochzeit bekommt sie gleich vier Mal. Es ist das Buch „Maria, ihm schmeckt’s nicht“. Der Bestseller von Jan Weiler erzählt die Geschichte einer Deutschen mit italienischem Vater und dem Chaos, das Familien anrichten können, wenn sie zwischen Deutschland und Italien fremdeln.
Den Roman findet Viola Saitta-Reiter lustig. Einmal allerdings hätte völlig gereicht. „In meiner Familie“, sagt die 53-Jährige, „ist nichts wie in dem Buch.“ Das Wechselbad zwischen kaltem Norden und heißem Süden, zwischen sizilianischer und münchnerischer Familie, zwischen In- und Ausland kennt die Yoga-Lehrerin allerdings ziemlich gut.
„Dieses Gefühl, sich ein bisschen zu genieren, Ausländer zu sein?“ Viola Saitta-Reiter lacht sehr laut. „Null“, sagt sie. „Ich war immer superstolz darauf. Ich wollte immer italienischer aussehen, als ich aussehe. Ich wollte immer Italienerin sein.“
Entspannte „Integration“: Yoga-Lehrerin Viola macht es vor
Das ist die eine Seite. Die andere: „München ist für mich wie eine zweite Haut.“ So ist das wohl, wie man sich das in so vielen Diskussionen gerade so endlos strapazierte Wort „Integration“ vorstellen kann: Zwei Lebenswelten verbinden sich zu einem Glück.
Der Vater kommt 1968 aus Sizilien nach Deutschland. Er liebt und heiratet eine Münchnerin. Die kleine Viola wächst an der Münchner Freiheit auf, wird Ministrantin in der katholischen Kirche, macht Abitur, heiratet einen Deutschen, zieht gerade mal ein paar Hundert Meter um von der einen Seite der Münchner Leopoldstraße auf die andere. „Hier“, sagt sie, „sind meine Wurzeln.“
Gleichzeitig gibt es diese Liebe zu Italien.
Serie: “So geht es Deutschland wirklich”
Viele Menschen klagen, die aktuelle Politik gehe an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei. Doch was wünschen sie sich? Wie geht es ihnen? FOCUS-online-Reporter reisen drei Monate durch Deutschland und fangen die Stimmung ein – für eine Serie mit 101 Folgen.
Die Familie des Vaters lebt im sizilianischen Bronte. Am Westhang des Ätna sind die vielen kleinen Dörfer heute zu einer Kleinstadt mit 18.000 Einwohnern zusammengewachsen.
Hier arbeitet man traditionell in der Landwirtschaft, es gibt ja diese Pistazien, die auf dem Vulkanboden so besonders gut wachsen. Wer die ernten will, muss Zeit haben. Zehn Jahre dauert es, bis ein Pistazienbaum seine volle Ernte bringt. Es lohnt sich. Pistazien aus Bronte sind berühmt für ihre Süße, für ihr Aroma.
Dauer-Frage: „Gell, Viola, Du bist doch lieber Italienerin?“
Wenn Viola ihre Ferien bei der Familie hier verbringt, gibt es immer diese Nachfrage: „Gell, Viola, Du bist doch lieber Italienerin?“ Es ist, als wollte man sich jedes Mal vergewissern, dass das Kind in der Ferne nicht verlorengeht, nicht an diese kalten Deutschen da oben im Norden.
Viola Saitta-Reiter lernt ihre eigenen Vorurteile kennen.
Da gibt es eben diesen Wunsch, das Italienische in ihr nach außen zu tragen. „Dass ich lässiger bin“, sagt sie, „weniger viereckig als die Deutschen, einfach netter und lustiger.“
Wenn sie zurückblickt, muss sie wieder sehr laut lachen. So sehr war sie Opfer ihrer eigenen Klischees geworden. Heute liebt sie die Ferienstimmung in Sizilien und freut sich aufs Heimkommen nach München. „Und auf das Bayerische“, fügt sie hinzu.
Corona und das geeinte Europa: „Die spinnen alle!“
In der Pandemie hat Viola Saitta-Reiter kennengelernt, wie sehr Europa inzwischen zusammengewachsen ist. „Ich habe immer gedacht: Wenn die Deutschen spinnen, dann gehe ich nach Italien“, sagt sie über all die Regulierungswut und die Vielzahl der Verbote, die in der Corona-Panik erlassen wurden. „Aber da habe ich gesehen: Die spinnen alle!“
In ihrer Erinnerung haben es die Italiener mit ihren Vorschriften sogar noch mehr übertrieben. Aus ihrer Ferienheimat bringt Viola Saitta-Reiter ein Rezept für den richtigen Umgang mit überbordender Bürokratie mit: Gelassenheit. Sobald die Kontrolleure nicht mehr wissen, wann sie was wie kontrollieren sollen, erledigt sich die Bürokratie auch wieder von alleine.
Wir sitzen inzwischen bei der zweiten Tasse Tee in ihrer Anamshala, ihrem „Seelenraum“, in Schwabing. Das Studio betreibt Viola Saitta-Reiter in einer Oase inmitten Münchens. Ein verwunschener Garten. Ein Nebenhaus, in dem gut ein Alchimist sein Labor aufbauen könnte. Ein Jugendstil-Bau, bekannt als die Villa Obrist. Schräge Fenster und ein beeindruckend geschwungener Treppenaufgang empfangen den Besucher.
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“Ich bin zufrieden und diese Welt ist gefälligst schön!“
Warum kommen die Menschen zur ihr? Es sind die üblichen Wehwehchen unserer Zeit. Rücken, Knie, Kopf – wo uns die Zivilisation ihre Schmerzherde eben einpflanzt.
Warum bleiben sie? Weil sie neben der Besserung der Beschwerden, wofür die Krankenkasse die Hälfte der Kosten übernimmt, auch noch mehr mitnehmen: eine kleine Auszeit während des Alltags, ein Durchschnaufen im wahrsten Sinn.
Und vielleicht noch eine kleine Botschaft dazu. „Ich hatte“, erinnert sich Viola Saitta-Reiter, „als Kind diesen Moment, mich zu entscheiden, dass ich zufrieden sein will.“ Den Glauben daran hat sie sich auch mit 53 Jahren bewahrt. „Das ist eine Einstellungsfrage: Ich bin zufrieden“, sagt sie. Und sie fügt hinzu: „Und diese Welt ist gefälligst schön.“